Roth Philip

 

Philip Roth

*19. März 1933 in Newark, New Jersey

† 22.Mai 2018 in New York City

Amerikanischer Schriftsteller


Werke unter anderem :


Operaton Shylock   1994

Amerikanisches Idyll   1998

Empörung   2008

Portnoys Beschwerden   1969-dt. 2009

Exit Ghost   2008


 

Auszeichnungen unter anderem:


  • National Book Award (1960, 1995) (für Goodbye, Columbus und Sabbath’s Theater)
  • Mitglied der American Academy of Arts and Sciences (1972)
  • PEN/Faulkner Award (1993, 2001, 2007) (für Operation Shylock, The Human Stain und Everyman)
  • Pulitzer-Preis für erzählende Literatur (1998) (für American Pastoral)
  • Franz-Kafka-Literaturpreis (2001)
  • WELT-Literaturpreis (2009)
  • Man Booker International Prize (2011)
  • Prinz-von-Asturien-Preis für Literatur (2012)

 

 

 

 

Amerikanisches Idyll

Philip Roth legt hier einen unvergleichlichen Roman vor, eine Klage über die in diesem Jahrhundert gegebenen und gebrochenen Versprechen von Wohlstand, öffentlicher Ordnung und häuslichem Glück. Die Hauptfigur ist Swede Levov, ein legendärer Sportler an der Highschool in Newark, der in den boomenden Nachkriegsjahren aufwächst, eine ehemalige Miss New Jersey heiratet, die Handschuhfabrik seines Vaters erbt und in ein Haus im idyllischen Dörfchen Old Rimrock zieht. Und dann verlässt ihn eines Tages im Jahr 1968 sein amerikanisches Glück. Über Nacht wird Swede aus dem ersehnten Idyll gerissen und in eine uramerikanische Raserei geworfen.

Für «Amerikanisches Idyll» erhielt Philip Roth den Pulitzer-Preis.

 

Mein Einwurf

Da sitze ich vor einigen Tagen abends vor dem Fernseher und schaue mir ein Fußballspiel an. DFB-Pokal, Kickers Offenbach gegen Borussia Mönchengladbach. Kein schönes und auch kein sehr spannendes Spiel. Vielleicht habe ich deswegen etwas mehr als sonst auf den Reporter gehört. Eventuell auch nur, weil er mehrmals davon sprach, daß die jungen Spieler aus Offenbach besonders eifrig bei der Sache waren, weil sie sich einen Traum erfüllen wollen. Sie möchten es schaffen, Profi zu werden, wie einige ihrer Bekannten, die sich inzwischen bei großen Clubs einen Namen gemacht haben. Sie möchten also auch, so dachte ich sofort, ein "Schwede" werden, nur nicht in dessen Sportart. Aber genauso berühmt, genauso geliebt, bewundert, angesehen, genauso reich.

Wie viele träumen diesen Traum? Nicht nur bei uns, nicht nur in Amerika, sondern überall auf der Welt.Wie schön muß es sein, in so eine Position zu kommen? Angesehen zu sein, keine Sorgen zu haben, behütet und glücklich einfach nur zu leben, ohne sich um den Rest der Welt Gedanken machen zu müssen. Leben in einer eigenen Welt. Der Traum eines jeden Menschen. Ein Idyll.

So jedenfalls sehen wir, sehen die meisten Menschen es von außen, weil wir diese "Glücklichen" nur vom Film, vom Fernsehen, aus den Zeitschriften kennen. Von dort, wo sie ihre Rollen spielen. Wir beneiden sie, ohne zu wissen, wie sie wirklich leben, was hinter dieser Fassade steckt. Und wer einen dieser Menschen persönlich kennt oder zumindest zu kennen meint, weil er ihm mal begegnet ist, sonnt sich in seinem Schatten. In Wirklichkeit aber beneiden wir sie nicht, wir neiden ihnen ihre Berühmtheit, ihren Reichtum. Und dies nicht wegen der Dinge, die sie erreicht haben, sondern wegen der Dinge, die wir nicht geschafft haben. Deshalb auch die Freude, die bis zum Hass reicht, wenn einer von ihnen durch ein Unglück oder einen Fehltritt oder was auch immer aus seiner Situation herausgerissen wird. Wenn wir miterleben dürfen, wie ein Idyll -egal, ob es eines war oder nicht - plötzlich in die Luft fliegt. Trotzdem, und das ist der Widerspruch in uns, möchten wir auch so leben.
So wie es heute irgendwelche Prominte sind, waren es früher die Juden.

So waren es in Amerika die Juden und die Schwarzen.

Sie lebten, jeder für sich, in ihrem eigenen Idyll. Aber wie sieht dieses von innen aus? Wissen die, so fragen wir uns, was es heißt gewöhnlich zu sein ? Was wissen wir von ihnen? So entstehen Mißverständnisse. Den anderen mißverstehen, wie er uns mißversteht. Vielleicht versteht ein jeder sich selbst noch nicht einmal.

"Seymour mochte es, wenn es anheimelnd amerikanisch zuging." Ganz Amerika war in einem Idyll. Das Land befand sich nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Aufbruchstimmung, ähnlich wie in Deutschland, wie in Europa und doch ganz anders.
Die Bombe der Tochter des Schweden hat sein Idyll zerstört, weil die Jugend "als Bombe" das Idyll zerstören wollte.
Die Amerikaner hatten in Vietnam alles zerstört, nun wollte man das Anheimelnde zu Hause zerstören, damit der weiße Traum weiter leben konnte.
Anders in Deutschland bei den sogenannten 68ern, da wollte man es zerstören, damit nicht das Idyll der Nazizeit wieder entsteht. Die Bomben sollten überall alles zerstören, damit man aufwacht aus der Zufriedenheit der 50ger und hinsieht, was gerade geschieht.

Aber wie sieht es innerhalb des jeweiligen Idylls aus ? Warum ist man über die Handlungen von außen so überrascht? Es ist das nicht "Vorbereitetsein" der Menschen, weil sie die Meinungen der Außenstehenden schon übernommen haben und glauben von außen geschützt zu sein. Man ist ja Vorbild für die da draußen und fühlt sich zunächst wohl in seinem Idyll, in seinem Kreis, weil man ungeahnte Aufmerksamkeit und Anerkennung erfährt. Erst wenn dieses Idyll zerstört ist, erkennen sie, was wirklich mit ihnen und in ihrem Zirkel geschehen ist. Dies können sie aber nur sich selbst eingestehen und müssen nach außen die Fassade wahren. Daran zerbrechen sie irgendwann und vernichten dann sich selber oder das Außen.
Innerhalb des Zirkels, des Idylls, wird die Wirklichkeit kaum noch wahrgenommen. Erst, wenn etwas geschieht, merkt man, daß man nicht immer so weiter machen kann. Und dann beginnt der Kampf auch im Inneren.
" Weißt du, was die Miss New Jersey aus meinem Leben gemacht hat ? Sie hat es kaputtgemacht." Das Idyll der Mutter zerbricht genauso, wie das der Tochter. Diese bombt sich aus dem Idyll der Mutter in das einer indischen Sekte. Flieht also nur von einem in ein anderes.

Aus all dem folgt aber auch, daß es keinen Schutz gibt für das eigene Idyll, weder in der Kindheit noch später, weder in der Arbeitswelt (zerstörte Fabrik), noch in der Gesellschaft (Vergewaltigung). Es gibt aber auch keinen Schutz für das Land, für Amerika, für das Idyll Amerika. Auch keinen Schutz innerhalb. Man kann nicht einfach hinaus, höchstens mit Gewalt, aber dann nicht mehr hinein.
Bei Merry, der Tochter des Schweden muß ich auch an die Jugendlichen denken, die heute zum IS überlaufen.

Amerikanisches Idyll aber ist mehr als nur dazuzugehören, ist: Amerika, die Nation zu sein.
Die Tochter des Schweden aber wollte nicht einfach dazugehören, sie wollte ihr eigenes Idyll, aber dazu mußte sie sich erst aus der Familie, der Gemeinschaft, der Gesellschaft herausbomben, um frei zu sein für sich, frei zu sein für die Nation, für Amerika.
Irgendwo glaubte sie unbewußt auch Vietnam zu sein. Auch wir haben gegen Vietnam demonstriert, aber wir haben es benutzt, um den Menschen in Deutschland zu zeigen, daß dieses nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Idyll außerhalb unseres Tellerrandes nur ein inzwischen schlecht gefertigter Handschuh geworden ist. Und auch in Amerika wurde die Sorgfalt bei der Herstellung politischer Handschuhe vernachlässigt (Nixon).

In der heilen Welt einer Gesellschaft gibt es aber einen Faktor, den man nicht kontrollieren kann: die Geschichte, den Fortgang, die Veränderung der Gesellschaft, die Veränderung im Denken der Gesellschaft. Davor schützt uns das Familienidyll, das Idyll allgemein nicht. Genauso, wie in Roth´s Roman "Der menschliche Makel" die Haut nicht schützt. Beide Schutzfunktionen ändern laut Roth eben nichts daran, daß der Mensch schutzlos ist.

Bei der seitenlangen Erzählung über die Herstellung der Handschuhe ging es nicht wirklich um die Fertigung dieses Gegenstandes, sondern um die Herstellung eines Idylls.
Lederwaren , wie sie in der Familie des Schweden hergestellt wurden, sind nichts weiter als ein Symbol für die Haut. Daher auch die ausführliche Darstellung der Entstehung eines Handschuhs, der ja auch eine Schutzfunktion hat. Er schützt vor Kälte, übertragen vor menschlicher Kälte. Leder wird hergestellt aus der Haut von Tieren. Die Herde von Dawn, der Frau des Schweden, schützt diese nicht davor nur Miss New Jersey zu sein.
Und im Idyll lebt man wie beschützt von einer, vielleicht seiner Haut (der jüdischen Haut).

Der Aufstieg des Schweden vom Juden über den Sportler zum Geschäftsmann, zum Unternehmer: Ein amerikanischer Traum. Er stellt Handschuhe aus Leder her. Leder ist Haut, die schützt, wie Haut den Menschen schützt. Aber es ist ein Traum, eine Illusion, daß diese Haut vor allem schützt. Schon Unruhen sprengen, eine Bombe zerstört. Der Handschuh platzt, die Nähte, wie sorgsam auch immer genäht, platzen. Nicht, weil sie schlecht gemacht sind, den Fertiger - die Familie der Tochter - trifft keine Schuld. Von dem guten Produkt bleibt schließlich nur noch ein Fetzen. Ein menschlicher Fetzen (Merry)
Der amerikanische Traum, das amerikanische Idyll, diese Haut ist eben kein Schutz, sondern eine Illusion.

Roth nennt sein Werk nicht: Ein Idyll, nicht: Das Idyll, sondern einfach "Amerikanisches Idyll". Kein Artikel, kein Hinweis auf ein bestimmtes oder irgendein Idyll. Nur der Schwerpunkt liegt in Amerika, weil dort ganz einfach auch die Geschichte spielt.

Der Roman spielt sich auch noch auf vielen anderen Ebenen ab - Konfession, Generation, Sexualität, Politik, Sport - , aber das alles hier zu behandeln, führte zu weit, obwohl jedes einzelne Thema mich reizen würde. So will ich es bei den obigen Andeutungen belassen. Eine Zusammenfassung erlebt man übrigens in dem Streitgespräch zwischen dem Schweden und seinem Bruder.

"Das bin ich! Das bin ich nicht!" ..."und dabei hatten sie in Wahrheit genauso wenig Ahnung wie er, wer oder was sie waren.Auch sie glaubten dem Anschein, den sie sich gaben."
 ..."Das bin ich nicht! Dann sähe man vielleicht einen besseren Weg durch den Lug und Trug dieser Welt."


 

 

 

 

 

 

 

Empörung

Der 19-jährige Ich-Erzähler Marcus Messner, Sohn eines jüdischen Metzgers und Jurastudent, entzieht sich der plötzlich ausbrechenden paranoischen „Sorge“ seines Vaters, indem er vom College des heimatlichen Newark auf das in Winesburg, Ohio, wechselt. Nun noch mehr auf Lernen und Bestnoten fixiert, sieht er sich zwei Mal zu einem Zimmerwechsel genötigt, worauf er vom Dekan eine Vorladung erhält. In ihrem Disput entlarvt sich die Scheinheiligkeit der „Sorge“ des Dekans durch Marcus‘ argumentative und moralische Überlegenheit Schritt für Schritt als das, was sie wirklich ist: ein perfides, den Zeitgeist des McCarthyismus spiegelndes Verhör, das darauf abzielt, jeglichen Ansatz nonkonformen Verhaltens zu brechen. Das gelingt im Fall von Marcus nicht – und letzten Endes doch. Die höchst reale und begründete Angst, bei einem Verweis vom College in den Koreakrieg einberufen zu werden, verfehlt ihre Wirkung nicht. Marcus wird verunsichert, beginnt zu lavieren, verrät sogar seine erste Liebe – ein überwältigendes sexuelles Erlebnis mit ihr hatte ihn in schwere Verunsicherung gestürzt. Er scheitert schließlich an einem vergleichsweise lapidaren, wenn auch signifikanten Fehler. Ihm widerfährt, was der Leser von Beginn an befürchtet und nach einem Viertel der Lektüre mit Sicherheit weiß: ein schneller, grausamer und sinnloser Tod.

 

 

 

Mein Einwurf

Gerade habe ich nach der Deutschstunde von Lenz hinter mir die Tür geschlossen, als ein gewisser Marcus genau dort weiter macht, wo Siggi seine Strafarbeit beendet hat. Allerdings in Amerika und in den fünfziger Jahren.

Ja, Pflichterfüllung war auch dort ein Thema und zwar noch immer.

„...ein alter Soldat, der versuchte seine Pflicht zu tun, wie Gott ihn diese Pflicht sehen ließ.“

Und Marcus tat seine Pflicht im Elternhaus  und auch noch zu Beginn seiner Collegezeit, bis er spürte, daß sein Vater ihn zu einem Menschen machen wollte, für den Freiheit bedeutete, die Unterdrückung der Gesellschaft hinzunehmen, um in Ruhe leben zu können, um ein in seinen Augen angesehenes Leben führen zu können, ein koscheres Leben. So eins wie er, der koschere Metzger. Koscher bedeutet unter anderem, nur Fleisch anzubieten, zu verkaufen, daß von Tieren kommt, welche bei der Schlachtung gesund sind und entsprechend den Gesetzten der jüdischen Tora geschlachtet werden.

Die Innereien müssen herausgenommen werden und die Tiere ausbluten. Genauso koscher starb Marcus am Ende.

Man kann über Blut nicht mit Gleichmut hinwegkommen, Blut empört einen.

Empörung bedeutet nicht nur Auflehnung gegen bestehende Verhältnisse, Aufstand gegen Unterdrückung – selbst die sexuellen Handlungen von Olivia empfindet Marcus als Unterdrückung-, emotionale Verärgerung , Zorn und Widerstand – wie es zum Beispiel der Dean sah-, Empörung ist auch ein, manchmal auch leiser Schrei nach Freiheit.

„Steht auf ! Ihr, die ihr nicht Sklaven sein wollt.Mit unserem Fleisch und Blut lasst uns eine neue Große Mauer bauen“ , steht ausgerechnet in der chinesischen Nationalhymne. Und diese Zeilen hat Marcus in der amerikanischen Grundschule gelernt, wenn auch während des Zweiten Weltkrieges, während er und seine Eltern in blutverschmierten Schürzen koschere Hühner verkauften.

Aber die Empörung hat auch noch eine andere Ebene, einen anderen Hintergrund. In ihr steckt mehr. Nämlich: empor-kommen.

Der Sohn wollte heraus aus diesem Leben der Eltern, wollte empor-kommen, nicht im Metzgerladen eingesperrt bleiben und nicht als koscher Soldat im Koreakrieg enden. Nicht Metzger, sondern Akademiker wollte er sein, in einer freien Gesellschaft ohne Regeln, mußte aber feststellen, daß im Grunde auch die Akademiker „Metzger“ waren.

Und so kämpft er gegen beide und er kämpft alleine.

Empöre dich nicht alleine gegen die Gesellschaft, sie vernichtet dich !

Seine Eltern zeigen die Doppelmoral der amerikanischen Gesellschaft, die Scheinmoral.

Da ist das Mädchen Olivia. Solche Menschen dürfen nicht emporkommen, man muß sich gegen sie empören. Also auch hier eine Empörung, aber eine Scheinempörung gegen die neue Moral, jedoch auch der Versuch, die alte, überholte zu retten. Wenigstens im Fall des Mädchen will man noch an der alten Moral festhalten, wenn man schon alles andere hinnehmen muß. (Versprechen gegenüber der Mutter)

Da ist die Mutter, die es nicht wagt, sich scheiden zu lassen, weil sie dann die alte Moral hinter sich lassen würde.

Da ist der Vater, der immer mehr ausbricht aus seiner heilen Welt.

Da ist das Mädchen, welches aus Protest einen Selbstmordversuch unternommen hat.

Da sind die Studenten, die mit dem „Höschenklau“ alle Regeln brechen.

Die amerikanische Gesellschaft ist wie die Eltern, wie die Jugend gespalten und kämpft gegeneinander. Sie erlebt all dies bereits unter Morphium, aber eigentlich ist sie schon tot. Doch noch erinnert sie sich – wie Marcus – zwischen den zwei Welten, zwischen Leben und Tod, wie und warum sie gestorben ist.

Marcus ist gestorben, weil er sich empört hat, gegen die Gesellschaft, gegen sich selber, weil er nicht aufhören konnte sich zu empören und weil er zum Schluß zu schwach war, diesen Kampf alleine zu Ende zu führen.

Er hatte seinen Blinddarm verloren (Bei Hühnern,die er früher koscher ausgeliefert hatte, übernimmt der Blinddarm Verdauungsfunktion) und konnte all die Empörung der Gesellschaft gegen ihn nicht mehr verdauen.

Sie, die Gesellschaft ist an der Empörung gegen sich selbst gestorben und weil sie andere dafür verantwortlich gemacht hat.

Er, Marcus hätte überleben können, wenn er sich nicht aufgelehnt hätte, wenn er alle Regeln und Moralvorstellungen ertragen hätte. Aber ohne seine und die Empörung vieler anderer, wären all diese alten Regeln und Vorstellungen in den sechziger Jahren nicht abgeschafft worden.

Ohne Empörung innerhalb der Gesellschaft ändert sich die Gesellschaft nicht. Und diese Empörung muß bei jedem Einzelnen beginnen. Die Gesellschaft muß sich verändern, damit sie nicht koscher wird, damit sie nicht niedergemetzelt wird und ausblutet.

Aber mit der Veränderung stirbt auch das Jetzt. Und keiner kann voraussagen, ob im Nachleben nicht auch gestorben wird.

„Man stellt sich vielleicht vor, wenigstens im Tod würde die Ungewissheit sich legen.“...“Um das festzuhalten: ich habe den starken Verdacht, dass man auch hier sterben kann.“

Daher müssen wir die Angst, daß wir im Hier und Jetzt sterben könnten, überwinden und für unsere Ziele und unsere Freiheit auch im Hier und Jetzt kämpfen.

„Steht auf ! Ihr, die ihr nicht Sklaven sein wollt.Mit unserem Fleisch und Blut lasst uns eine neue Große Mauer bauen.“


 

 

 

 

 

 

 

Portnoys Beschwerden

Portnoys Beschwerden (nach Alexander Portnoy (1933-...)) : Eine Störung, bei der starke ethische und altruistische Impulse in ständigem Widerstreit mit extremen, oft perversen sexuellen Begierden liegen.

Die Ethik (griechisch ἠθική (ἐπιστήμη) ēthikē (epistēmē) „das sittliche (Verständnis)“, von ἦθος ēthos „Charakter, Sinnesart“ ,ist jener Teilbereich der Philosophie, der sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns befasst. Im Zentrum der Ethik steht das spezifisch moralische Handeln.

Altruismus (lateinisch alter ‚der Andere‘) bedeutet in der Alltagssprache „Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise“.

 

 

Mein Einwurf

Zwei Dinge, die ich bei Roth schon einmal genannt habe, scheinen mir hier besonders wichtig:

Es handelt sich weder um ein typisch jüdisches, noch um ein typisch amerikanisches Problem. Genausowenig ausschließlich eins von Roth, auch wenn es sich durch all seine Werke zieht. Es ist auch keine Krankheit, sondern eben eine Beschwerde der Gesellschaft. Ein Fehlverhalten. Genau dies beginnt schon in der Kindheit.

„Aber was er mir zu bieten hatte, wollte ich nicht  - und was ich wollte, konnte er mir nicht bieten.“

Weil Eltern ihren Kindern meistens das bieten, was sie selber wollen, denn das, so meinen sie, ist auch gut für ihre Nachkommen. Und so wird die Kindheit zum „Himmel im Herbst“ – die erste Gedichtzeile im Leben Portnoys.

Die Juden in Amerika, sie lebten genauso in einem Getto, wie viele Fremde heute in Deutschland, in Europa. Eine Keimzelle von Haß und Gewalt. Daraus entsteht der gegenseitige Glaube an Überlegenheit, die neuen Haß hervorbringt.

„Aber ich bin noch etwas anderes –jedenfalls sagt man mir das.“ „Ein Jude“ ... „Ein Atheist“.

Ein Moslem – Ein Christ

Der Jude wollte anerkannt werden – der Islam fordert eine Anerkennung. Aber als was ? Als Religion ? Das ist er unzweifelhaft. Und von wem soll er anerkannt werden ? Vom Staat ? Dann wäre die Trennung von Staat und Religion aufgehoben. Und wegen dieser Trennung müßten die Religionen sich erst mal von ihren Machtphantasien verabschieden.

Gleichzeitig bringen alle Religionen Angst hervor, existieren auf dieser Grundlage. Angst aber ist eine Beschwerde. Somit sind Religionen nichts weiter als Beschwerden im obigen Sinn.

Alex Portnoy will seinen eigenen Weg gehen. Aber dann plagt ihn, plagt jeden, der dies in die Tat umsetzt, sein Gewissen. Wie denken die Eltern, die Nachbarn, die anderen über ihn ? Wie denke ich über mich ? Meistens schlechter, als alle anderen.

Und hier begegnet uns die Sprache. Für Roth ist ein Gespräch „nicht bloß ein Kreuzfeuer, in dem man schießt und beschossen wird !“  „Worte sind nicht bloß Kugeln und Granaten – nein, sie sind kleine Geschenke, die einen Sinn enthalten!“ Wenn doch wirklich alles so einfach wäre auf dieser Welt.

Als Jude lebt Portnoy in den USA. Die Eltern wollen das Jüdische behalten, erhalten. Er aber auch den Anschluß an die andere Welt, die gojim. Und trotzdem die Verbindung ans Judentum, an seine Eltern, besonders seine Mutter nicht verlieren. Obwohl er seine Vergangenheit und seine Herkunft irgendwie haßt, will er sie mit hinübernehmen in die andere Welt.

Nicht viel anders geht es vielen Ausländern hier. Der Mensch kann sich aus seinem Sein, seinem Kommen, seiner Vergangenheit, seiner Kultur nicht gänzlich lösen. Zur Integration gehört auch das Weiterleben mit der Herkunft.

Aus diesem Gefühl heraus erfolgt dann sein Aufenthalt in Israel. Sozusagen zurück zu seinen Wurzeln.

„ich bin in einem jüdischen Land. In diesem Land ist jeder ein Jude.“

Endlich ist man einer wie alle. Gehört dazu. Man existiert vor dem Hintergrund seines wirklichen Seins. „He, hier sind wir die Herrenmenschen!“

Aber Portnoy ist nicht Mitglied dieses „wir“. Die Bekanntschaft mit Naomi zeigt es ihm ganz deutlich. Er ist eben kein Jude aus Israel, sondern einer aus den USA. Nein, es reicht nicht aus Jude zu sein, auch nicht unter lauter Juden.

Der Ausländer, egal wo geboren, wird auch im Land seiner Eltern Ausländer sein. Man ist dann unrein und gehört nirgendwo dazu.

Wie sagt der Psychiater am Schluß : „ So, dann wollen wir mal anfangen.“

Aber womit ? Mit dem Leben ?

 


 

 

 

 

 

Exit Ghost

In Exit Ghost kehrt Nathan Zuckerman, Roth`langjähriger Held nach langer Abwesenheit nach New York zurück, um dann für immer abzutreten.

Durch die Begegnung mit einem jungen Paar, einer alten, einst verehrten Frau, einem Mann, den er als Konkurrenten hasst, kehren auch die einstigen Leidenschaften zurück – Liebe, Begehren, Groll.

 

 

Mein Einwurf

.....und habe nachträglich festgestellt, daß Kritiker ja immer, fast ausschließlich darauf hinweisen, daß Roth diesen Roman geschrieben hat, um sich von seinem Alter ego zu trennen. Diesem Faden bin ich dann auch mal gefolgt, um zusätzlich sogar noch seinen eigenen Rückzug aus der Öffentlichkeit hinzuzufügen. Aber irgendwie war ich mit diesen Aussagen von Anfang an nicht glücklich und habe nach einem anderen Grund gesucht, nach einer anderen Erklärung von "Exit Ghost".
Amy hat sie mir dann in ihrem bemerkenswerten Brief geliefert:
" Es gab einmal eine Zeit, da intelligente Menschen die Literatur zum Denken nutzten."
"Wir Menschen, die lesen und schreiben, sind am Ende - wir sind Geister, die das Ende des Zeitalters der Literatur erleben."

Roth geht es weder um Zuckermans noch um seinen Abgang von der literarischen Bühne, sondern um den Abgang, um das Ende der Literatur. Es ist Zuckermans Kampf gegen Kliman.Immer wieder zitiert Roth große Autoren aus der Vergangenheit. Stellvertretend erleben wir den von Zuckerman so verehrten Lonoff. All diese Literatur droht vernichtet zu werden, droht dahinzufließen, inkontinent zu werden, zu keinem Höhepunkt mehr zu gelangen, der Impotenz gleich, wenn Menschen wie Kliman sich ihrer bemächtigen.
Die junge Generation sind nicht "Nichts-mehrs", sondern "Noch-nichts".
Bei ihr kämpft die Phantasie mit dem Verstand, doch der menschliche Makel siegt.

Exit Ghost ist der letzte Kampf Roths gegen den Untergang der Literatur.

Ja,es ist der "Menschliche Makel" der ins "Idyll" geführt hat -hier: der Rückzug Zuckermans aus Gründen seiner körperlichen Schwächen aus der Stadt. Dort hat er den Angriff auf die Literatur verpaßt. Und so stellen Zuckerman und Roth sich die Frage: Darf man sich einfach aus der Welt zurückziehen und die Literatur zurücklassen, zumal das Geschehen sich bereits anbahnte ? Der Tumor war noch nicht entdeckt, aber er war schon da.
Jetzt konnte auch eine Operation, ganz gleich welcher Art, nicht mehr helfen. Die Literatur der Klimans war nur noch ein Stillgewässer.
Da versinkt aller Geist, alles Geistige in "kakaobraune(s) Wasser, in dem viele tote Bäume liegen."

Aber, und hier schließt sich wohl der Kreis zu den Kritikern, bald nach diesem Roman hat Roth die Feder niedergelegt, damit seine Werke nicht irgendwann auch auf dem Papier jener toten Bäume gedruckt werden und in verseuchtem Gewässer schwimmen.
"SIE ...Das Schlimmste an ihm war, dass er Jude ist.
 ER Das ist auch das Schlimmste an mir. "


 



Operation Shylock


In Israel trifft der Schriftsteller Philip Roth auf einen Mann, der unter seinem Namen den Auszug der Juden aus Israel propagiert. Ist dieser Doppelgänger nur ein Irrer, oder ist er ein gefährlicher Hochstapler? Die Ereignisse überschlagen sich, und der echte Philip Roth gerät in ein politisch brisantes Spionagenetz. Er beginnt an seiner Identität zu zweifeln und vermag bald nicht mehr, zwischen Wahn und Wirklichkeit sicher zu unterscheiden.


Mein Einwurf

" Operation Shylock" spielt ja in den 80er Jahren, aber ist in einigen Passagen brandaktuell, wie ich meine, weil das Damals das Jetzt ist und das Jetzt das Damals war. 

So ist das also mit der Vergangenheit. Irgendetwas aus ihr holt uns immer mal wieder ein. Die Zukunft hat also schon längst begonnen. Und so können wir sicher sein, ein Stück von ihr jeweils mitzuerleben.

Philip Roth begegnet sich in dem Werk durch sein Dublikat in Israel selber und erlebt in ihm seine Vergangenheit, sein Jetzt und ein bißchen seine Zukunft. Aber vielmehr noch seine eigenen Widersprüche, die er aber erst durch die Begegnung mit dem anderen Philip Roth erkennt. Kann man nur so sein eigenes Bewußtsein erkennen? Wie war das mit der These von Karl Marx ?   "Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, daß ihr Sein, sondern ihr gesellschaftliches Sein, daß ihr Bewußtsein bestimmt.“ Und weiter: " Das Bewußtsein kann nie etwas anderes sein, als das bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß.“ Beziehen wir das auf das Judentum, dann stellt sich heraus, daß bis heute alles mit der jüdischen Opferrolle verknüpft wird, “wie das Verschlingen der besetzten Gebiete und die neuerliche Vertreibung der Palästinenser aus ihrem Land.“ Gerechtfertigt wird alles durch Auschwitz. Aber man kann nicht alles, so meine Meinung, was eine heutige Regierung durchführt, durch Auschwitz rechtfertigen. Dies ist kein Vorwurf an die Juden und genauso wenig einer gegen das israelische Volk. Aber wir können einer israelischen Regierung keinen Freibrief für alles Handeln und für alle Zeit ausstellen. Hier stößt auch die Rechtfertigung durch Auschwitz an ihre Grenzen. Und, um es unmißverständlich zu sagen: Das jüdische, das israelische Volk hat natürlich ein Existenzrecht und das Recht sich zu verteidigen, aber nicht das Recht Gebiete anderer Völker zu besetzen. All das Fürchterliche, das ihm widerfahren ist, rechtfertigt nicht das Begehen von neuem Unrecht. 

 

Genau das schürt natürlich den Antisemitismus, nicht nur hier, sondern ganz besonders bei den Palästinensern. Dieser Konflikt ist es, den Philip Roth, der Schriftsteller, dort erlebt. Und er stellt die Frage nach dem Antisemitismus. Eine Antwort sucht er unter anderem bei der Geliebten seines Doppelgängers.

Ist der Antisemitismus eine Krankheit, quasi wie zum Beispiel die Sucht eines Alkoholikers ? Gleichzeitig wie ein Krebsgeschwür, welches sich im Bewußtsein immer mehr und unaufhaltsam verbreitet ? In "Nemesis" begegnen wir dieser Frage erneut. Ist die Polioepidemie der Antisemitismus, der die Juden vertreibt oder sind die Juden die Polioepidemie ? Roth war, wie vielfach behauptet, kein Antisemit. Er hat nur immer wieder das Denken und Handeln der Israeli, später besonders der israelischen Regierungen kritisiert. Es geht also nicht um den Glauben. Und auch Shakespears Shylock handelte aus materiellen Gründen, nicht aus Glaubensgründen. In allem Antisemitismus zu sehen: Diese Behauptung stimmt nicht !

 

Philip Roth wirft viele Fragen auf, ohne wirklich Antworten zu geben. Es ist auch eigentlich nicht die Auseinandersetzung mit der Judenfrage, jedenfalls nicht nur, sondern, genau wie bei mir, eine notwendige, kritische Beschäftigung mit der Politik der israelischen Regierung. Es handelt sich um nichts Geringeres als um die Wahrheit. Um die im Leben und natürlich auch um die als Schriftsteller, um die beim Schreiben.

Shylock –hier als Mr. Smilesburger auftretend -, auch bekannt als jüdischer Geldverleiher in Shakespears „Der Kaufman von Venedig“, erzeugt nicht Wahrheit sondern Lüge. Deshalb hat Roth auch von der Schilderung jener Operation Abstand genommen. Und genaugenommen ist alles, was er in Israel erlebt, nur Lüge.

 

Die Wirklichkeit, meint sinngemäß der Autor, kann unglaubwürdig sein, das Geschaffene, Geschriebene darf es nicht. Wer sich genau an eine unglaubwürdige Wirklichkeit hält, wird unglaubwürdig.

Und dann stellt sich die Frage, ob der Mensch sich gerne von Lügen überzeugen läßt, ob Lügen für ihn glaubhafter sind, als die Wahrheit ? Wahrscheinlich ist es einfacher, eine Geschichte, vielleicht die eigene Lebensgeschichte an Erfundenem aufzubauen, zu rechtfertigen, als an der Wirklichkeit.

Operation Shylock ist etwas Biographisches zwischen Fiktion und Realität. Und genau hier besteht für den Schriftsteller die Gefahr, zwischen Wirklichkeit und Erfundenem verlorenzugehen, den Grund zu verlieren, zerquetscht zu werden. Eine autobiographische Erfindung sollte zumindest nicht soweit verfälscht werden, daß sie nicht mehr autobiographisch ist. 

 

Bei diesen Gedanken kommt man nicht umhin, an einen anderen Autor zu denken. Walter Kempowski.

Für Philip Roth gabe es in Operation Shylock jemanden, der ihn nicht anerkannte und den er nicht anerkennen wollte. Eben jenen anderen Philip Roth. Aber Nichtanerkennung ist für einen Schriftsteller, so Philip Roth – also beide Philip Roths – tödlich. Besonders, wenn es um die persönlichen, eigenen Leiden geht. Was bei Kempowski die Haft war, spiegelt sich bei den Roths im Krebsleiden und in einer Art Sucht wieder. Gleichsam geraten sowohl Roth als auch Kempowski in eine gewisse Spionagefalle.

 

"Der Schriftsteller“, so Roth, "definiere das Zulässige neu. Darin liege die Verantwortlichkeit. In Fiktion brauche sich nichts zu verstecken.“

 

"Dieses Bekenntnis ist falsch.“





 

 

 

Nach oben