Wolf Christa

 

Christa Wolf

* 18.März 1929 in Landsberg/Warthe

†01.Dezember 2011 in Berlin

 

Schriftstellerin der DDR


Werke unter anderem :


Der geteilte Himmel   1963

Nachdenken übetr Christa T.   1968

Kein Ort. Nirgends.   1979

Kassandra   1983

Medea. Stimmen   1996   



 

Auszeichnungen unter anderem:


·  1963: Heinrich-Mann-Preis

·  1964: Nationalpreis 3. Klasse der DDR

· 1980: Georg-Büchner-Preis

· 1987: Nationalpreis 1. Klasse der DDR

· 2002: Deutscher Bücherpreis

·  2010: Thomas-Mann-Preis

·  2010: Uwe-Johnson-Preis

 

 

 

Der geteilte Himmel

In einem kleinen Krankenhauszimmer erwacht Rita Seidel aus ihrer Ohnmacht.

Und mit dem Erwachen wird auch die Vergangenheit wieder lebendig. Da ist die

Erinnerung an den Betriebsunfall und vor allem die Erinnerung an Manfred Herrfurth.

Zwei Jahre sind vergangen, seit sie dem Chemiker in die Stadt folgte, um an seiner Seite

und mit ihm gemeinsam ein glückliches Leben zu beginnen.

Wann hat die Trennung begonnen? Hat sie die ersten Anzeichen einer Entfremdung

übersehen? Denken, Grübeln, Fiebern – Tage und Nächte hindurch!

 

Manfred ist von einem Chemikerkongreß in Westberlin nicht zurückgekehrt, in dem festen

Glauben, daß ihm Rita folgen wird. Sie muß eine Entscheidung treffen, die sie

in eine tiefe Krise stürzt.

 

 

Mein Einwurf

„Ist das schwer, so zu werden, wie sie sind ?“

Haben wir uns das nicht alle irgendwann schon einmal selber gefragt ? War es schwer, so zu werden, wie du bist ?

Ja, für manchen war es schwer, weil er nicht so sein wollte, wie er sein sollte. Und mancher nahm es einfach so hin, so zu sein, wie er mußte, damit er sein konnte.

Es gibt keine einheitliche Gesellschaft, jede ist geteilt, weil jede Gesellschaft aus Individuen besteht. Aber es gibt zwei Arten der Teilung: In einer gewissen Freiheit und eine Teilung, die zur Einheit gezwungen wird. Und wie ist das mit dem Himmel ? Richtet der sich nach den Grenzen auf der Erde ?

Rita sagt an einer Stelle: Den Himmel kann man nicht teilen. Aber welchen Himmel meint sie ? Was ist der Himmel ? Das unendliche Nichts über uns, mit den Wolken, den Sternen, dem Mond ? Vielleicht auch etwas, was wir uns einbilden, etwas, das wir nach unseren Vorstellungen vom Himmel so bezeichnen?

Das Zimmer, welches Rita und Manfred bei seinen Eltern beziehen, hängt wie eine riesige Schaukel an der Himmelskuppel. Ein Bild, welches sogleich an die Situation in Pina Kür`s „Ein verrückter Baum“ erinnert. „Es war ein selbständiges Zimmer – in den Himmel gehängt.“ Auch hier die Liebe eines kleinen Mädchens zu einem reiferen Mann. Und befindet man sich, dem Volksmund nach, wenn man liebt, nicht im Himmel ? Aber kann man die Liebe teilen ? Die Liebe des einen ist nicht immer gleich der Liebe des Partners. Mancher Riß geht da hindurch, den man immer wieder versucht zu verschweigen.

Und: „ So hoch wie sie, lebte niemand. Zu ihnen kam der Regen zuerst.“ Ja, alles prasselt immer erst auf sie herab, bevor es unten ankommt, bei denen, die einfach ihren Alltag leben. Da schützt auch das Zimmer ganz nah am Himmel nicht, diese Gondel, die irgendwann abstürzt.

Und da unten war alles geteilt. Nicht nur in West und Ost. In der DDR selber war alles geteilt. Fein säuberlich, in Arbeit und privat, Gesellschaft und privat. Selbst die Familie, das Private selbst war geteilt. In das Wollen der Menschen und die Realität. Die einen sehen all die Dinge, die anderen leben einfach, sind zufrieden mit dem, was sie sehen. Da taucht er wieder auf, der Maler aus der Deutschstunde von S. Lenz.

Die Teilung von Wissenschaft und Sein, von Realität und Gesellschaft. Die DDR war eine geteilte Gesellschaft.

Eine andere Ebene, die Grenze zwischen Kindheit und Erwachsensein. Ein klarer Schnitt im Osten: „Dort standen sie, die Erwachsenen. Die waren dabeigewesen,“ „Und hier waren wir, die Kinder. Ausgeschlossen, wie Kinder immer von den ernsthaften Beschäftigungen der Erwachsenen ausgeschlossen sind.“

Aber es entwickelte sich noch eine weitere Grenze, ganz nahe am Himmel. Im All. Der erste russische Kosmonaut. Nun war auch der Himmel aufgeteilt oder zumindest das All. Die Stille dort oben hörte auf, denn der Frieden im All war dahin. Und es war abzusehen, daß dies alles irgendwann auf das kleine Zimmer dort oben an der Himmelskuppel herabfallen würde, weil ja alles zuerst auf sie fiel. Und irgendwann wirft man allen Ballast ab, denn „Auch Dreck schleppt man nur so lange mit, wie er einem nützlich ist.“ „Bloß den Haß werden wir noch lange brauchen...“

Ja, der Haß, wir brauchen ihn. Wer nicht hassen kann, liebt auch nicht. Hassen wir nicht die am meisten, die wir lieben ?

Ist der Himmel die Liebe, gibt es dort nur Liebe ? Für die DDR-Bewohner war der Westen der Himmel, aber lieben konnte man sich dort nicht. „Wohin gehen die Liebespaare?“ fragte Rita sich im Westen, im Himmel. Gibt es im Himmel keine Liebe ?

Im Westen stand schon am Nachmittag –wenn drüben noch gearbeitet wurde – der ausgefranste halbe Mond am Himmel.Ein Stück war wie herausgerissen,der andere Teil Deutschlands, aber den konnte man ja nur im Westen sehen. Also gab es doch zwei verschiedene Himmel  – und die Nacht wird sich um ihn herum zusammenziehen, „die noch gar nicht da ist.“ Eine Vorahnung der Autorin, was einmal mit der DDR geschehen wird? Oder ist es einfach die kommende Mauer, die Westberlin einschließen wird ?

“ Es war die Stunde zwischen Hund und Wolf.“ Aber auf welcher Seite war der Hund und wer war der Wolf ?

„Merkwürdig, so viel Helligkeit bei soviel Dunkel.“ Ja, auch im Dunkel gibt es Licht. Übrigens haben wir hier, so scheint mir zumindest, das „Dunkeldeutschland“ welches sich unser ehemaliger Bundespräsident (Gauck) wohl ausgeliehen hat. Und zurück ins Dunkel-Deutschland fuhr das „Braune Fräulein“.

Am 13. August 1961 wurde die Mauer erbaut, nachdem Walter Ulbricht am 15. Juni erklärt hatte: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Ich kann mich kaum noch daran erinnern, war ja noch ein Kind, aber zu diesem Zeitpunkt ganz nahe an der Grenze.

Im Werk von Rita hatte auch niemand die Absicht 14 Fenster für die Waggons zu bauen, aber zwei Mann bauten sie einfach. Doch da war Manfred schon drüben und Rita wieder zurück. Zwei Welten und jede hatte ihren Himmel. Oder zumindest ihr eigenes Leben.

Für die Menschen im Osten war der Himmel im Westen, der Konsumhimmel, aber der galt für Rita nicht, für sie zählten die Liebe und das Leben. Die Liebe gab es im Westen, im Himmel ja nicht. Und wie war es nun mit dem Leben ? Im Westen machte Neckermann es möglich und 4711 war immer dabei.

„Sie sieht ,wie jeden Abend eine unendliche Menge an Freundlichkeit, die tagsüber verbraucht wurde,“ Das ist ihre Freiheit und mit der praßt man genauso wie mit dem Konsum im Westen. Und so zieht sie „die Tür hinter sich zu“, errichtet die Mauer, und sie gewöhnt sich daran. Ja, die Menschen gewöhnen sich an alles, auch hier, auf ihre Art zu leben und aus dem vollen zu schöpfen.

Die DDR so ein bißchen wie ein pubertierender Staat. Die Menschen stehen neben sich, möchten erwachsen werden, aber alles andere nicht verlieren. Sie schwanken, sind geteilt. Zwei Waggons, zwei Welten rasen aufeinander zu und Rita gerät dazwischen.

Aber auch mit dem Erwachsenen-Himmel kann sie nichts anfangen und deshalb flieht sie zurück in die Kindheit, vielleicht auch ein bißchen in die Vergangenheit vor der DDR. Das „braune Mädchen“ fühlt sich wohl in den behüteten Familien, denn in diesem Leben kann sie wie im Himmel leben.

 

Hat sich da heute eigentlich etwas geändert zwischen Ost und West ? Ist man „drüben“ im „Dunkeldeutschland“ wirklich der Pubertät entflohen? Gibt es nicht noch immer viele Ritas hier, die gerne zurückfliehen würden?

Nicht der Himmel, aber das Bewußtsein ist zumindest teilweise noch immer geteilt.

 

Rita stellt am Anfang die Frage:“ Ist es schwer, so zu werden, wie sie sind?“

Sie bekommt darauf keine Antwort, denn es gibt keine.

Man wird nicht so wie man ist, man ist so wie man ist.

Kein Vorher und kein Nachher.

Man sehnt sich nach einer heilen Welt und nicht nach einem geteilten Himmel.


 

 

 

Kassandra

In ihrer Erzählung »Kassandra«, die 1983 zeitgleich in der damaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland erschienen ist, greift Christa Wolf einen Stoff aus der griechischen Mythologie auf: die Geschichte und den Untergang Trojas. Darin eingebettet ist die Lebensgeschichte der Seherin Kassandra. In Form eines inneren Monologs blickt Kassandra unmittelbar vor ihrem Tod zurück auf ihre Kindheit und Jugend, den Krieg um Troja und seine Vorbedingungen. Dabei folgt Kassandra ihren Assoziationen und Emotionen.

 

 

Mein Einwurf

Kassandra ist in der griechischen Mythologie die Tochter des trojanischen Königs Priamos und der Hekabe, damit Schwester von Hektor, Polyxena, Paris und Troilos sowie Zwillingsschwester von Helenos. Priamos und Hekabe hatten gemeinsam 19 Kinder. Hüten wir uns, weiter in der Verwandschaft herumzustochern. Wir würden lediglich erkennen, wie „verklemmt“ wir nach unserer sogenannten sexuellen Revolution sind. Oder, anders ausgedrückt, wir haben lange verteufelt, verteufeln noch immer, was in der damaligen Gesellschaft ein hoher Wert war.

Der Gott Apollon gab Kassandra wegen ihrer Schönheit die Gabe der Weissagung. Als sie jedoch seine Verführungsversuche zurückwies, verfluchte er sie und ihre Nachkommenschaft, auf dass niemand ihren Weissagungen Glauben schenken werde. Wer nicht mitmacht, ist gegen uns. Der Fluch der Kassandra.

Und da sind wir schon mitten im Thema, dem Beginn des Patriarcharts. Jedenfalls nach Christa Wolf. Aber auch mitten in der DDR. Und mitten im geteilten Himmel. Griechenland und Troja. BRD und DDR. Und Kassandra ? Die Rita im geteilten Himmel ? Das Nichts zwischen Matriarchat und Patriarchat ? Verborgen im Dunkel der Höhle, gefangen in Kassandra und mit ihr in der Gefangenschaft und letzlich im hölzernen Pferd. In Christa Wolf innerhalb der Mauer der DDR.

Der Untergang Trojas als endgültiges Ende des Matriarchats. Aber gab es das wirklich irgendwann oder ist es nur in der Angst der "Kassandra", der Christa Wolf geboren worden ? Vielleicht versuchen beide, die Angst durch das Denken zu besiegen, wie man die Liebe durch das Denken unterdrücken kann. Aber die Frage ist doch, ob unser Denken uns überleben wird. Kassandra ist klar, daß das, „was ich begreifen werde, bis es Abend wird, ... mit mir zugrund geht.“ Und so gibt es nur eine Möglichkeit es zu retten: Aufzuschreiben oder wenigstens jemandem erzählen, der es weitersagt.

Bei Kassandra, bei Troja fällt mir immer gleich mein Lateinunterricht ein. Jede Möglichkeit wurde da von einem bestimmten Lehrer genutzt, um Geschichten aus der griechischen Mythologie zu erzählen. Und ja, es waren alles nur Lehrer, also Männer an diesem Gymnasium. Ein humanistisches Jungengymnasium.

Schon dort versuchte man, die Schüler in die Solidarität zu zwingen, um sie, wie Kassandra, blind zu machen und über sie verfügen zu können. Genau dies ist auch das Prinzip der Kirchen und der totalitären Staaten. Einem Priester, zum Beispiel, wird nichts verliehen, er wird in Besitz genommen und bis heute instrumentalisiert. Zusätzlich hilft eine Sprachlenkung, wie sie im Dritten Reich und auch in der DDR betrieben wurde.

„Du sprichst die Wahrheit, aber niemand wird dir glauben.“ Und doch darfst du nicht schweigen. „ Das Licht erlosch. Erlischt.“  Wenn das Licht erlischt, ist das Ende der Menschheit erreicht. Sie hätte es dann selber zum Erlöschen gebracht.



Nachtrag

Genau dieses Szenario über die Wahrheit begegnet uns übrigens auch in dem Krämer Leibelt aus der Novelle "Die barocke Kerze" von Josef Martin Bauer.

 

 

 

Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra

Es war ein spektakuläres Ereignis, als Christa Wolf 1982 an der Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe-Universität ihre Poetik-Vorlesungen hielt. Sie entwirft ein dichtes Gewebe aus literarischem Text und poetologischer Reflexion.

 

 

 

 

Mein Einwurf

„Ich spotte ja nicht, und ich leugne selbstverständlich den Einfluß nicht, den herrschende ästhetische Normen auf jeden haben, der schreibt (auch auf jeden, der liest und der die verinnerlichten Normen seinen persönlichen Geschmack nennt).“

„Ganz bestimmte Normen hat jeder von uns verinnerlicht und kann sich dagegen auch nicht wehren. Und natürlich beeinflussen sie auch den Schreiber und genauso den Leser. Aber die Frage ist doch eine ganz andere: Werden diese verinnerlichten Normen durch das Schreiben und vor allen Dingen durch das Lesen verändert ? Wir beginnen immer mit diesen Normen im Hinterkopf, doch wie sehen sie am Ende aus ? Und, besonders beim Lesen, müsen wir weiter fragen, ob für eine Veränderung es notwendig ist, Literatur abweichend von unseren verinnerlichten Normen zu lesen. Oder kann auch eine zunächst stattfindende Bestätigung der Normen zu einer Veränderung führen, weil eine starke Bestätigung dazu führen kann, daß wir in verinnerlichten Normen plötzlich einen Weg erkennen, den wir nicht mehr gehen können oder wollen. Ändern wir dann auch unser Leseverhalten ? Oder suchen wir nunmehr weiter nach einer Bestätigung für die stattgefundene Veränderung, indem wir die bisherige Literatur wenigstens zunächst weiterhin lesen, beziehungsweise wenigstens im Auge behalten." 

Christa Wolf

 

Warum spricht Christa Wolf hier nur vom Lesen und Schreiben ? Die „verinnerlichten Normen“ beeinflussen doch zunächst unser Denken bevor sie sich im Schreiben und Lesen wiederfinden, veröffentlichen. Und nein, sie werden nicht durch das Schreiben und Lesen verändert, sondern höchstens durch unser Denken, welches dann das Schreiben und Lesen vielleicht verändert. Es ist also gleichgültig, was wir lesen oder schreiben. Dadurch mag unser Denken beeinflußt werden, jedoch nicht die verinnerlichten Normen, die ich auch nicht mit dem „persönlichen Geschmack“ gleichsetzen kann. Wer wirklich an Literatur interessiert ist, der liest auch gegen seine verinnerlichten Normen, auch gegen seinen persönlichen Geschmack, weil es ihm um die Erfahrung beim Lesen geht. Und auch beim Schreiben kann es einem Autor nicht nur darauf ankommen, seine Normen zu vermitteln, sondern auch um die Gegenüberstellung verschiedener Normen, verschiedener Ansichten.

Aber beginnen wir wie Christa Wolf im Altertum, bei den dortigen Normen, auf die es ihr ja ankommt. Weil sie dort den Ursprung des Machtproblems in der damaligen DDR, aber auch ganz allgemein der heutigen Gesellschaft vermutet. Jedenfalls der Gesellschaft in der sie aufwuchs und lebte. Marx, so sagt sie in ihren Vorlesungen über Kassandra, nannte „das griechische Altertum die Kindheit des abendländischen Menschen.“ Das wäre zumindest eine Rechtfertigung für eine Ableitung ins Heute. Stellt sich mir nur die Frage, was das Abendland aus dieser Kindheit gelernt hat ? Von Troja, von Kassandra ? Opfern wir unsere Helden nicht noch immer ? Und auf die „Seher" hören wir bis heute nicht, nein, wir weigern uns, auf sie zu hören, als gelte der Fluch des Achill auf Kassandra noch immer. Und unsere Kindheit-Griechenland-verhöhnen wir heute, anstatt unseren „Eltern" zu helfen. Manchmal habe ich den Eindruck, das Abendland ist noch immer in der Pubertät. 

Doch zurück. Zu den Frauen. War Kassandra vielleicht eine der ersten berufstätigen Frauen ? Und wie war das dann mit Klytaimnestra, der Frau des Agamemnon ? Die erste Feministin ? Genug der Fragen. Die Geschichte des  "Patriarchalischen Südens“ wird immer nur als männliches Heldenepos erzählt. Obwohl es einmal eine Zeit gab, zuminest in den Mythen, in der die Frauen gleichgestellt waren, die Gottheiten alle weiblich waren –Artemis, die Göttin der Jagd -die Muttergöttin, Demeter - Aphrodite - Hera - Era, die Erdmutter - die Todesgötting und die der Wiedergeburt, Io - : Die Frauen stellten sogar die Priesterinnen und auch die Erbschaftsfrage der Könige war nur über die Töchter möglich. Irgendwann ersetzten sie Mutterrecht durch Vaterrecht. Vom Matriarchat zum Patriarchat. Dazwischen Kassandra.  Entstand genau da der Feminismus ? Kassandra wird zum Objekt gemacht. Genau das ist das Schicksal der Frauen in den nächsten dreitausend Jahren. Sie sind nur noch Übel. Nur Muttermord ist weiterhin nicht erlaubt. Das hätte selbst die inzwischen im Patriarchat lebenden Männer noch beunruhigt.

Und dann war da die Magie. Sie gehörte früher alleine den Frauen, den Stammesältesten, den Priesterinnen besonders. Auch das mußten die Männer ihnen abnehmen. Die Magie und das Priesteramt. Dafür entmannten sie sich sogar – von Apoll wird es auch behauptet – warfen sich in Frauenkleider, um Priester werden zu können. Auch da hat sich bis heute nichts geändert. Weder an der Kleidung, noch an der Tatsache, daß die Frauen ausgeschlossen sind. 

Allerdings kann ich Christa Wolf nicht zustimmen, wenn sie behauptet, „daß Frauen zu der Kultur, in der wir leben, über die Jahrtausende hin offiziell und direkt so gut wie nichts beitragen durften.“ Sie haben es, nur, daß die Männer die Beiträge für sich in Anspruch genommen haben. Allerdings ist es richtig, daß sich nichts ändert, wenn wir, wie die Autorin es nennt, den „Männlichkeitswahn" durch den "Weiblichkeitswahn" ersetzen. Ein Zurück zum Matriarchat ist keine Lösung. Wir müssen jedoch auf die Inbesitznahme der Frauen verzichten. Würde es heute ein anderes Denken geben, wenn die Frauen die letzten Jahrhunderte hätten mitdenken dürfen ? Ist also das Patriarchat bis heute ein Übergang vom Matriarchat, zu dem wir wieder zurückwollen ?

Christa Wolf vermag keine wirkliche Antwort zu finden, aber sie greift die Fragen mit „Medea“ wieder auf.

 

 


 

 

Medea - Stimmen

Medea - Stimmen ist ein 1996 erschienener Roman von Christa Wolf. In Monologen einzelner Handelnder werden Ereignisse aus dem Umfeld des griechischen Medea-Mythos erzählt. Nach ihrer Erzählung Kassandra widmet sich Wolf damit einer weiteren Frauenfigur aus der griechischen Mythologie. 


Mein Einwurf

Bleiben wir noch einen Augenblick bei den emanzipatorischen Bestrebungen von Christa Wolf aus ihren Vorlesungen zu Kassandra, denn aus den Stimmen klingen diese Fragen immer wieder an.

 

Im letzten Absatz zu Kassandra schrieb ich: „Ist also das Patriarchat bis heute ein Übergang vom Matriarchat, zu dem wir wieder zurückwollen ?" Wenn man heute manche feministische Bestrebungen betrachtet, kann man fast den Eindruck gewinnen. Dann hätten wir noch immer nicht verstanden, warum Kassandra und Medea gescheitert sind. Beide erkannten nämlich auf der einen Seite zu spät, daß der Übergang von den alten Gesetzen zu den neuen von den Männern ausgenutzt wurden und werden.

Cato, der Ältere, 234-149 v. Chr. :  „ Sobald die Weiber uns gleichgestellt sind, sind sie uns überlegen." Das gilt es also zu verhindern, obwohl es auch gleichzeitig ein Eingeständnis der Angst ist. Und genau aus dieser Angst heraus handelt das Patriarchat, denn man weiß, daß eine Gleichstellung, ja eine Überlegenheit der Frau niemals ganz beseitigt werden kann. Den entscheidenden Punkt lesen wir bei Euripides (480-406 v. Chr.) : Gäbe es eine andere Geburt, ganz ohne die Frau, wie glücklich wäre das Leben.“ Das wäre dann das endgültige Ende des Matriarchats, denn einzig die menschliche Geburt kann man den Frauen nie nehmen.

Medea: „Das ist die Antwort."



 

„Gewaltig ist der Antrieb der Männer,

in Erinnerung zu bleiben

und sich einen unsterblichen Namen

auf ewige Zeiten zu erwerben.“

 

Platon, Symposion





 

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