Autorenlesungen2013

 

Autorenlesungen

 

 

Deutsche Literatur der Gegenwart

2013

 

 

  Gedanken -

                      beim Zuhören geboren

 

Judith Kuckart - Markus Orths - Wilhelm Genazino - Robert Schindel - Raul Zelik

 

 

 

 

 

   Judith Kuckart

liest aus: „Wünsche“ – 21.10.2013

 

Judith Kuckart wurde am 17.Juni 1959 in Schwelm/NRW geboren

·    Studium der Literatur-und Theaterwissenschaften, Tanzausbildung.

Tänzerin, Choreografin, Regisseurin und Schriftstellerin.


Werke unter anderem:


Wünsche, Roman  2013

Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück, Roman  2015

Kein Sturm, nur Wetter, Roman  2019


 

Auszeichnungen unter anderem:

2012: Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis

2018: London Stipendium des deutschen Literaturfonds 2018 in Kooperation mit dem Queen Mary College der University of London 

 

 

 

Wünsche

Silvester in einer kleinen Stadt: Vera geht schwimmen. Es ist ihr 46. Geburtstag, zu Hause warten wie jedes Jahr ihr Mann, ihr Sohn und ihre Freunde, um gemeinsam zu feiern. Da findet sie im Schwimmbad den Ausweis einer anderen Frau und haut ab....

 

 

Notizen

Den Roman finde ich vom Inhalt zunächst nicht so prickelnd.

Die Antworten von ihr auf die Fragen haben in mir dann auch nicht den Eindruck erweckt, als ob ein Thema in dem Roman tiefer beleuchtet werden sollte, sondern die tieferen Fragen in mir eher hinweggewischt. Personen und ihre Probleme werden wohl sehr gut skizziert, dargestellt, aber die Handlung scheint doch ziemlich seicht an der Oberfläche zu schwimmen und Symbolcharater von einigen Dingen hat sie in den Antworten mit einer Handbewegung zur Seite geschoben.

Wünsche basiert ja einmal auf dem Namen des Inhabers eines Kaufhauses, zum anderen auf der Tatsache, daß dort ja auch Wünsche produziert werden und zum dritten auf Wünsche, die verschiedene Personen, hier hauptsächlich die Hauptperson, hat,haben und der Versuch der Verwirklichung. Zudem leben, älterwerden und Tod, was sie aber auch nicht wirklich bejaht hat.

Für mich: Wünsche bleiben, selbst wenn sie Wollen und anschließend Handlung geworden sind, Wünsche, weil sie in der Realität sich doch immer anders darstellen. Sind sie Handlung geworden, sind sie auch gleichzeitig wieder Wünsche, weil ich meinen Wunsch nicht genauso zur Handlung machen kann.

Die Hauptperson läuft weg und kehrt ganz am Ende wieder zurück – wenn ich es richtig vermute, da das wirkliche Ende nicht erzählt wurde-.Sie hat versucht ihren Wunsch zu leben, was aber nicht funktionierte. So,wie Kaufhäuser sich den Realiäten immer wieder anpassen müssen. Was im Roman aus dem Kaufhaus Wünsche  wird, weiß ich nicht.

Sehr gut war die Lesung selbst, also das Vorlesen. Man merkte woher sie kommt – Ballett, Theater-hat auch schon an den Kammerspielen in Paderborn gearbeitet. Sie hat nicht nur vorgelesen, sondern fast mit den Armen und Beinen manchmal alles mitgespielt. Sehr gute Stimme, das Zuhören nie langweilig, man schweifte nie ab, durch Betonungen, Pausen, Blicke ins Publikum, das war gekonnt. Allgemein eine sympatische Art.

Am spannendsten fand ich die Fragen, die sich um sie als Schriftstellerin rangten: Erstaunlich, wie sie sich mit ihren Figuren indentifizierte, wie diese Figuren in ihr leben. Sie sagte ein paar Mal : ich habe von dieser Figur gelernt.  In ihr existieren diese Menschen real vor dem Hintergrund der Welt.

Und dann die Frage auf eine vor längerer Zeit in einem Interview gegebene Antwort: Warum schreiben sie? Antwort: Weil ich sterben muß.

Erläuterung: Beim Schreiben verlängert sich die Zeit. Man merkt nicht, wie sie vergeht,aber sie ist nicht weg, sie ist ein Mehr bis zum Tod. Eine Verlängerung des Lebens. Hier wird Zeit hinzugefügt.

 

Siehe auch Autorenlesung 

2015 : "Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück"

2019 : "Kein Sturm nur Wetter"

und Autoren: Kuckart, Judith

 

 

 

 

 

 

 

Markus Orths

liest aus: „Irgendwann ist Schluß“ – 28.10.2013

 

Markus Orths wurde geboren 1969 in Viersen am Niederrhein. 

Studium der Philosophie, Romanistik und Anglistik


Werke unter anderem:


Lehrerzimmer, Roman   2003

Die Tarnkappe, Roman  2011

Irgendwann ist Schluss, Erzählungen  2013

Max, Roman  2017


 

Auszeichnungen unter anderem:


2008: Telekom-Austria-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Preis

2011: Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar für Die Tarnkappe

2012: Stückewettbewerb des Theaters Baden-Baden für Die Entfernung der Amygdala

 

 

 

Irgendwann ist Schluß

Erzählungen

Das Leben ist ein wilder Kampf und die Sprache die wichtigste Waffe. Mit Rasanz, Witz und Leidenschaft erzählt Markus Orths von Menschen, die sich gegen uralte Ängste wehren und gegen konkrete existenzielle Bedrohungen; Menschen, die um Liebe und Erkenntnis ringen, um Sicherheit, Würde und Selbstbestimmung.

 

 

Notizen

Seine Geschichten haben viel Satire, ja oft Groteskes, er betrachtet die Realität wie durch eine Tarnkappe –so heißt auch eine Erzählung von ihm – um nicht so eingeengt zu sein, mehr Freiheit zu bekommen beim Schreiben, Peer Steinbrück würde sagen, mehr Beinfreiheit.

Versucht sich manchmal an Lewitscharoff anzulehnen, was allerdings noch nicht ganz glückt.

Ansonsten leicht zu lesen, greift jeweils Dinge aus dem Alltag auf, um sie zu kleineren Geschichten , aber auch Romanen zu verarbeiten. Hauptsächlich aus der Gegenwart. 

 

Irgendwann ist Schluss

Die Titelgeschichte erzählt von der Freiheit oder von der Unfreiheit. Egal, wenn es mir gut geht in der Unfreiheit, die nur daraus besteht, daß ich sie nicht verlasse, vermisse ich die Freiheit nicht, weil ich in der Unfreiheit alles habe, was ich brauche.

Eigentlich will ich nur hier und jetzt sein, nur der sein, der ich bin, nicht der der ich war.Ja, ich möchte mir selbst beim Leben zusehen.Auch,wenn es manchmal unerträglich ist, mich zu sehen.

Und manchmal kann ich es kaum glauben, daß er ich ist.Dann bin ich nur noch Wahrnehmung.

Doch irgendwann ist auch mit der Träumerei Schluß und die Wirklichkeit, das Jetzt holt einen ein, holt einen zurück.

 

Die Geschichte „Bischoff  gegen BRD“

erzählt von einem Menschen wie du und ich. Jeder wird sich gleich am Anfang erkennen.

Außer, daß er nie etwas bewegt, aber dann diesen Prozeß gewonnen hat, gibt es über Bischoff nichts zu sagen. Er ist ein gewöhnlicher Mensch.

Löwes Welt

Und was macht es schon aus, ob etwas der Wahrheit entspricht oder einfach nur Gedanken sind?

Irgendwann ist Schluß, selbst wenn es nur beim Denken ist, nur im Geiste, nur in der Phantasie.

„Vier Stunden im Garten gelegen

Bonus-Track“

Ein Telephonat mit seiner Mutter, mit einer Mutter, einer, die jeder kennt, wie sie jeder hat.

„’Das ist wunderbar’, sagte ich und tupfte mir den Schweiß von der Stirn.“

denn:

Irgendwann ist Schluß

Diese Geschichten von Markus Orths sind keine über irgendwelche Menschen, sondern über uns.

Warum machen wir uns so viele unnütze Gedanken. Wäre es nicht einfacher, in seinem Haus zu bleiben und sich um den Rest der Welt gar nicht zu kümmern, wenn doch irgendwann Schluß ist ?

 

Siehe auch Autorenlesungen 2017

und Autoren: Orths, Markus

 

 

 

 

 

 

 

Wilhelm Genazino

liest aus : „Tarzan am Main“ – 04.11.2013

 

 

Wilhelm Genazino

*22.Januar 1943 in Mannheim

† 12. Dezember 2018 in Frankfurt am Main

 

Auszeichnungen unter anderem:

2004 Georg-Büchner-Preis

2010: Rinke-Sprachpreis der Guntram und Irene Rinke Stiftung

für Das Glück in glücksfernen Zeiten

2014: Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main

 

 

 

Tarzan am Main

Spaziergänge in der Mitte Deutschlands

Wer Deutschland sehen will, fährt nach Berlin oder München, auch an den Rhein. Aber sind die lupenrein schönen Städte wirklich interessanter, bedeutender, lebenswerter ? Oder sind die Verehrer der schönen Gegenwart in den Metropolen einem Irrtum aufgesessen? Liegt das wirkliche Deutschland nicht ganz woanders ? Dort, wo man keine Stadtrundfahrten macht ? Vielleicht sogar in einer Fußgängerunterführung in Frankfurt am Main ?

 

 

Notizen

Thema Frankfurt, keine Beschreibung der Stadt, sondern Augenblicke, Einschnitte des Autors in der Stadt, abseits des Großen

Beispiel: Erzählung von den Ratten am Bahnsteig….Frankfurt früher eine heruntergekommene Stadt

Frankfurt heute keine Literaturstadt, nur eine Bankenstadt

Die Erzählungen so etwas wie sentimentale Nostalgie, besser sentimentaler Rückblick

Eigene Ansicht: Tarzan schlängelt sich durch diese Stadt und findet Kleinigkeiten, die sonst niemand dort sieht, der Autor schreibt, was er sieht und stellt es vor sein inneres Auge, um ihm etwas Neues zu verleihen.

Siehe auch Autoren: Genazino, Wilhelm

 

 

 

 

 

 

Robert Schindel

liest aus: „Der Kalte“  - 11.11.2013

 

 

Geboren am  4. April 1944 in Bad Hall in Oberösterreich ,

ein österreichischer Lyriker, Regisseur und Autor.

 

2013: Johann-Beer-Literaturpreis für Der Kalte

2014: Heinrich-Mann-Preis

 

 

 

 

 

 

Der Kalte

Österreich in den »Waldheimjahren« zwischen 1985 und 1989. Drei »Kulturkämpfe« toben nebeneinander und sind doch untrennbar miteinander verbunden: der Kampf um einen neuen Staatspräsidenten, der Kampf um ein Antifaschismusdenkmal und der Kampf um »das« Theater, »die Burg«. Und inmitten dieser Auseinandersetzungen kämpft ein Einzelner, kämpft gegen das Vergessen und Verdrängen der NS-Zeit: der Spanienveteran und KZ-Überlebende Edmund Fraul.

 

 

 

Notizen

Szene: Ein Denkmal in Wien soll auf dem Platz aufgestellt werden, wo die toten Juden begraben liegen…Diskussion

Ansicht des Künstlers: Die Toten müssen aufgeweckt werden, nicht die Lebenden

Schindel erklärt: Seine Figuren sind alle fiktiv, auch wenn sich dahinter reale Personen verbergen, erkannt werden. Wie aus einem Gesamtstein, werden sie herausgehauen und bleiben fiktiv, weil sie anders reden, handeln, sich benehmen. Sie bleiben selbstständig,eigenständig und handeln und reden aus sich heraus, nicht aus der zu erkennenden Person.

Interessant ist, ob die Wirkung eines Romans die gleiche bleibt, wenn niemand mehr die Personen hinter den fiktiven erkennt, sie nicht mehr kennt und wahrnimmt.

Bei vielen Romanen weiß heute niemand mehr, wer dort vielleicht gemeint war.

 

Siehe auch Autoren: Schindel, Robert

 

 

 

 

 

 

Raul Zelik

liest aus: „Der Eindringling“  - 18.11.2013

 

Geboren 1968 in München,

 ist ein deutscher Schriftsteller, Journalist, Übersetzer und Politikwissenschaftler.

 

 

 

Der Eindringling

Gerade ist Daniel zum Studieren aus der Provinz nach, klar, Berlin gezogen. Auch um sich Fil, seinem Erzeuger, anzunähern, der für ihn bisher mehr ein Gerücht als ein Vater war.

Aus der Suche nach dem Vater wird eine Suche nach sich selbst, die Daniel quer durch Europa, von der Facebook-Gegenwart zum militanten Widerstand der 1980er Jahre führt, bis er vor einer Entscheidung steht, der er nicht mehr ausweichen kann.

 

 

Notizen

Der Eindringling  = eindringen in das Leben des Vaters   ….  Vater-Sohn Beziehung

                                Eindringen in das Leben des Anderen

Auch: eindringen eines Organs in den fremden Körper

Zelik:  Ausbruch ist heute nichts besonderes, wird gleich wieder von der Konsumgesellschaft vereinnahmt.

Zelik ist mehr ein politischer Autor.

Redet von der Jugendbewegung der 70er und 80 er , wobei ich in den 80ern nicht mehr von wirklichen Jugendbewegungen reden würde, sie laufen aus, individualisieren sich. Er ist Jahrgang 68 und hat somit die wirklichen Bewegungen der 60er-70er nicht mehr oder noch nicht bewußt mitbekommen. Außerdem handelt es sich in Deutschland/Berlin, wo sein Roman spielt, um eine andere als in Amerika, Lateinamerika, wo er später oft gelebt hat, falls dort in Lateinamerika eine stattgefunden hat.

Zelik: Das Große Andere der 70er-80er Jahre gibt es heute nicht mehr.

Und: Wer über den Stalinismus redet muß den rumänischen unter Ceausescu kennen.

Wobei die Jugendbewegung, wenn man davon reden kann, im Osten eine ganz andere war.

Zelik über Literatur:  Literatur ist Fixion, entgleitet der Realität, somit dem Autor im nachhinein bei der Interpretation des eigenen Textes

Der Text weiß immer mehr als der Autor.

 


 

 

 

 

 

Nach oben