Gedankensplitter II

 


Begegnung mit Gedanken
 

                   Gedankensplitter....

                                   

Texte

Texte entstehen mehrmals oder werden sogar mehrmals geboren- so gibt Lena Sundermeyer vom Wortart Esemble eine Aussage von Nora Gomringer wieder-, beim Lesen, Sprechen, Weiterverwenden.

Und zwar, so möchte ich ergänzen, bei jedem Lesen, weil jeder jeden Text anders liest, ihn anders aufnimmt, anders versteht, anders fühlt und ihn somit auch anders weitergibt, egal ob an einen Zuhörer oder an sein Bewußtsein. Und wenn ich einen Text zehnmal lese, dann hat er sich zehnmal verändert, weil ich ihn bei jedem Lesen etwas verändere, etwas neu entdecke, etwas in meinen Gedanken neu entstehen lasse, sich das Verstehen vielleicht erweitert, verändert, weil sich, so oft bei mir, beim Lesen um den Text plötzlich eine Geschichte rangt, eine Geschichte, die nur ich erlebe.

Aber, und das frage ich, ist das nicht, nein, muß das nicht die Aufgabe eines Textes sein ? Soll er nicht etwas beim Leser oder allgemeiner gesagt, beim Empfänger in Gang setzen, etwas entwickeln, was aber doch gleichzeitig bedeutet, daß er, der Text, sich selber entwickelt ? Das was der Autor niederschreibt, kann in dem Augenblick doch nur eine Anregung sein, die er dem Empfänger zukommen läßt, eine Arbeitsplattform für sein Bewußtsein, ein Denkanstoß. Wir, die Leser, die Zuhörer, die Empfänger sind aufgefordert, aus diesem Text etwas zu machen, zu handeln.

Deshalb muß die Frage, die mich schon in der Schule immer gestört hat, nicht lauten: Was will uns der Dichter damit sagen, sondern: was können wir mit diesem Text anfangen, wie können wir das Gesagte, das Niedergeschriebene weiterentwickeln, es zu einem und zu welchem Zweck neu entstehen lassen, denn der Autor schreibt ja nicht, jedenfalls sollte er es nicht ausschließlich, zum Geldverdienen, sondern um uns zum Denken aufzufordern, zum Entwickeln einer Idee, zum Handeln.

Dabei muß das Handeln nicht immer einen gesellschaftlichen, gesellschaftspolitischen Hintergrund haben, es kann auch zur Weiterentwicklung, zur Ausformung der Sprache dienen, darüber nachzudenken, Sprache bewußter wahrzunehmen, anzuwenden und weiterzugeben.


 

 

Nora Gomringer erklärt ihr Schreiben

Erst neulich habe ich ein kleines Interview mit Nora Gomringer gesehen,besser, gehört und anschließend zu ihrer Dankesrede – Kulturpreis Deutsche Sprache 2011 -  gegriffen. So ein bißchen war da zu spüren von dem, was sie heute sagt: Sie schreibt Fährtenbücher, gibt Spuren auf....
 Wie ich finde, eine sehr schöne Erklärung, um Schreiben zu beschreiben, denn genau das ist es, Wörter werden fallengelassen und jeder Autor hofft, daß möglichst viele sie aufsammeln, ihnen folgen und sie zusammensetzen, um zum Ziel zu kommen, sie, die Fährte lesen, sie entziffern und den richtigen Schluß ziehen.


 

 

 

Alter und Jugend

Das Alter beginnt schon in der Jugend, aber die wirkliche Jugend erst im Alter.

Jugend und Alter müssen kein Gegensatz sein, sondern können durchaus harmonieren. Schwierig wird es immer nur dann, wenn jeder sich in seine Ecke zurückzieht und nicht bereit ist, die Ecke des anderen noch zu betreten. Schon länger leben heißt doch nicht, die Jugend nicht mehr verstehen zu können und keine Gemeinsamtkeiten mehr mit ihr zu haben. Und noch nicht so lange zu leben heißt genauso wenig die Älteren noch nicht verstehen zu können. Wenn dies Gemeingut einer Gesellschaft werden würde, brauchten wir auch keinen Generationenvertrag mehr, was übrigens ein fürchterliches Wort ist, denn ich möchte keinen Vertrag mit irgendeiner Generation. Ich möchte auch keine Generation. Ich möchte, daß alle Menschen, egal wie lange sie sich auf diesem Erdball schon bewegen, egal wieviele der unendlichen Möglichkeiten sie schon in Anspruch genommen haben, gleichberechtigt und ohne Ausnahme akzeptiert werden, was aber nur funktioniert, wenn ich nicht auf die Jugend hinabschaue und die Jugend mich nicht beiseite schiebt. Voraussetzung hierfür ist wiederum nichts Geringeres als die Achtung vor dem Menschen als solchen.

"…und wenn jemand von einer glücklichen Kindheit erzählte, dann dachte ich …… an Momente, wo ich mit meiner Schwester erlebte, wie unsere Eltern glücklich sein konnten. "

(„Tauben fliegen auf“ - Melinda Nadj Abonji)


 

 

Herbst des Lebens 

Der Herbst ist eben nicht die Vorstufe zum Ende von was auch immer, er ist die Vorbereitung zur Erneuerung des eben Gewesenen. Und genau darum ist es falsch, im Alter vom Herbst des Lebens zu reden, weil wir ja auch gleichzeitig das Alter als die Erfahrung - früher sprach man auch mal von der Weisheit (etwas ganz anderes) - bezeichnen. Denn wenn die Erfahrung in das Ende münden würde, wäre sie zwecklos. Sie hat nur dann ihre Daseinsberechtigung, wenn sie uns hilft, das soeben Erlebte neu, vielleicht sogar besser zu gestalten.


 



Überflüssig

Wieviel Überflüssiges gibt es in dieser Welt und speziell auch in unserem Alltag. Würde man alles beseitigen, bliebe nicht mehr viel. Das jedoch wäre das Wesentliche des Lebens, des Seins. Ob es alleine ausreicht, um so etwas wie einen Genußfaktor zu erreichen, sei mal dahingestellt, denn das Wesentliche ist ja nicht gleichbedeutend mit etwas Positivem, etwas Gewolltem, wobei auch dieses Letztere individuell ist und zunächst gänzlich wertneutral.

 Aber dann gibt es doch wieder Dinge, die zunächst überflüssig erscheinen, aber sich plötzlich doch als entscheident herausstellen. Kleinigkeiten, Randnotizen, Fußnoten - darf man diesen letzten Begriff überhaupt noch benutzen oder ist er schon wieder negativ besetzt ? - , also eigentlich Überflüssiges, welches aber die Hauptsache erst zur Hauptsache macht. Ohne dieses Überflüssige wäre die Hauptsache,zumindest manchmal, ganz überflüssig.

 Wie menschlich Dinge manchmal sein können.


 

 

 

Erkenntnis

Nun ist es so, daß Erkenntnis immer einen Anlaß braucht, um in das Bewußtsein zu gelangen, gelangen zu können. Anders ausgedrückt: Es bedarf eines Es oder eines Anderen, um zu sehen, daß der Weg auf dem ich laufe, zu gar keinem Ziel führt, sondern sich in den Weiten verliert. 

Wenn ich einer Blume, deren Wurzeln in der überwässerten Erde des Blumentopfs gegen das Ertrinken kämpfen, noch mehr Wasser gebe, dann wird sie nicht wieder aufblühen, sondern verfaulen und umkippen. Aber durch ihr Wanken und ihre gelben Blätter zeigt sie mir, daß ich sie anders behandel muß, wenn sie noch eine Chance haben soll. Plötzlich öffnet sich eine Erkenntnis, weil ich mich näher mit ihr beschäftige, sie ernsthaft in meine Gemeinschaft aufnehme. Gleichzeitig zeigt sie mir, daß das Gießen einer Pflanze mehr ist, als nur Wasser zu geben, es ist das Wollen, ihr den Weg zu ihrem Ziel, dem Blühen zu zeigen.


Es reicht also nicht, den Menschen nur mit Macht, Geld und Ruhm auszustatten. Alleine damit verlieren seine Wurzeln den Halt. Er braucht jemanden, der ihm den Weg zu seinem ursprünglichen Ziel zeigt, nämlich die ursprünglich vorhandene Freiheit, damit er bleibt, was er wollte.


 

 

Gestern - Heute - Morgen

Da stellt sich doch die Frage, ob grundsätzlich immer alles anders gemacht werden muß, nicht um es zu verbessern, sondern nur um des Anders-Machen-Wegen.

Vielleicht sollte ich mich zunächst von meinen Lesern verabschieden und ihnen dann noch ganz kurz die Punkte nennen, über die ich mich mit ihnen unterhalten wollte.
Sicher, so wird alles einfacher und der Seher,Hörer, Leser braucht sich nicht mehr mit der veralterten Spannung herumplagen und das unbequeme Denken kann ganz einfach übersprungen werden. Ein paar vorgefertigte Meinungen in wenigen Kürzeln zusammengefaßt und man ist informiert. Ausführlichkeiten langweilen nur noch und wer will sich bei Facebook, Twitter und sonstigen Kürzelvereinen damit heute noch abgeben? Schließlich kann man auf seinem Ipad,Iphone,Igelb während des Überquerens eines Zebrastreifens nicht ganze Romane verfassen oder lesen. Es muß eben heute alles schnell gehen und da darf das Ergebnis auch schon mal geschildert werden, bevor es eingetreten ist. Die Form und die Worte der Übermittlung spielen keine Rolle mehr. Hauptsache man erklärt der Welt da draußen, die man zwar nicht kennt, die aber aus hunderten von Freunden besteht, die man auch nicht kennt, was man selber nicht versteht oder, damit es einfacher wird, welchen Kaffee Latte Macchiato man gerade wo trinkt.

Nein, ich habe nichts gegen Neuerungen und Fortschritt, ganz im Gegenteil, aber es stört mich, wenn das Leben, das Sein nur noch auf einem oberflächlichen, nichtssagendem Wolkenteppich stattfindet, wenn Gleichgültigkeit die Oberhand gewinnt, wenn die Menschen sich aus der Realität einfach verabschieden und dies dann als den Fortschritt bezeichnen. Und ja, Anführer dieses Fortschritts sind die Medien, die insbesondere der Jugend täglich einhämmern, daß ohne all diese Dinge, also ohne dieses Fortschritts kein Leben mehr möglich sei.

Nein, ich brauche keine sogenannten Freunde in sogenannten sozialen Netzwerken, die in Wirklichkeit nur Fangnetze sind, um möglichst viele Konsumenten einzufangen. Ich muß und will auch nicht jedem erzählen, wann ich mir ein Glas Wasser aus der Küche hole, beziehungsweise warum ich mich heute elf Sekunden länger im Bad aufgehalten habe als gestern, es sei denn, es handelt sich um einen wirklichen Freund, eine wirkliche Freundschaft, wovon es allerdings nur eine ganz überschaubare Menge gibt.

Sollte es jetzt so klingen, als würde ich nur oder lieber in der Vergangenheit leben, so ist das ein gewaltiger Irrtum, denn ich beschäftige mich eigentlich nur mit dem Jetzt und dem Morgen, aber man darf auch nicht vergessen, das beide doch nur aus dem gestern und durch das Gestern existieren. Wir wurden alle in eine bestehende Welt geworfen, deren bestehende Vorgaben wir nicht einfach ignorieren konnten und können. Das bedeutet nicht, daß wir alles übernehmen, aber auch nicht, daß wir alles verändern müssen. Unsere Aufgabe ist es, aus der Unendlichkeit der Möglichkeiten, was die Freiheit ist, einen Weg zu finden, der unser Bewußtsein zu neuen Erkenntnissen zum Wohle des Einzelnen und der Gemeinschaft führt. Erkenntnisse aber entspringen immer Denkprozessen und nicht Google oder Facebook. Und wenn ich mir ein Urteil über ein Fußballspiel bilden will, dann muß ich zunächst das Spiel in seiner Entwicklung sehen und nicht beim Ergebnis beginnen.

Genau deshalb mache ich schon mal eine kleine Rundfahrt durch meine Kindheit. Anders ausgedrückt: Ich besuche Orte, an denen ich aufgewachsen bin und durch die ich auch geprägt worden bin, die also mein Jetzt beeinflussen. Da ist dann vieles nicht mehr wiederzuerkennen und manches Haus muß man aus der Erinnerung wieder aufbauen, aber am Ende fügt sich dieses Puzzle doch wieder zusammen und es gibt auch Punkte,die gewisses heutiges Handeln durchaus erklären, genauso wie an manchen Ecken Veränderungen ihre Notwendigkeit beweisen oder sie widerlegen.

Das Gestern hätte ohne das Heute keine Bedeutung mehr und das Heute und das Morgen würde es ohne das Gestern nicht geben. Aber all dies funktioniert nur, wenn wir nicht in die Oberflächkeit abgleiten, denn dann waren die Erkenntnisse des Gestern wertlos und das Morgen wird zur Bedeutungslosigkeit werden.

 

Denn Leben ist nicht das Vollbrachte, sondern das noch Wollen.




 

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