Gedankensplitter I

 

Begegnung mit Gedanken
 

                   Gedankensplitter....

 


Beim Lesen von bestimmten Wörtern, Sätzen, Wendungen versuche ich, Bedeutungen herauszufiltern – manchmal auch aus Erinnerungen oder Geschichten – um andere vielleicht dazu anzuregen, weiter zu forschen und diese Gedankensplitter genauer für sich zu gestalten.....auch durch Lesen von Literatur.....

 

Und natürlich finde ich niemals eine endgültige Antwort, sondern immer nur wieder Fragen, die wiederum Antworten verlangen. Auf diese Weise entstehen unendlich viele Splitter, gleich den Teilen bei einem Puzzle. Doch jedes Teil, jeder Splitter bringt uns der Wahrheit ein Stückchen näher.

Machen wir uns also auf den Weg, nicht in Hinsicht auf die Antworten, sondern die Fragen betreffend, denn der Geist, dem wir so nachspüren, verdichtet sich am Ende zu der 

Freiheit....

 






 

"Die letzte Strophe eines Gedichts entsteht im Kopf des Lesers."

Bertolt Brecht

 


Die wahren Abenteuer finden im Kopf statt

(frei nach André Heller)

Es spielen sich doch nicht nur die wahren Abenteuer, sondern es spielt sich das Leben, nein, leben im Kopf ab. All unser Handeln ist doch zunächst Gedanke, dann Entwurf, dann Tun. Nicht mit unserem Handeln, sondern mit unseren Gedanken formen wir die Welt, zumindest unsere Welt. Und die Literatur beginnt doch erst in unseren Gedanken, in unserem Kopf zu leben. Die Buchstaben,die Wörter, die Sätze, alles das entwickelt sich zu einem Bild, zu einem Film, wird während des Lesens Realität, nimmt uns mit in diese Realität, ja, läßt uns Teil ihrer werden. Plötzlich sind wir eine Person in diesem Roman, die am Straßenrand steht und das Geschehen beobachtet. 

Aber nicht nur in der Literatur, sondern auch im alltäglichen Leben spielen wir doch eigentlich nur das nach, was vorher in unseren Gedanken schon Premiere hatte. Jede Begegnung mit uns oder mit dem anderen hat doch in irgendeiner Form schon in unseren Gedanken stattgefunden. Selbst die plötzliche Begegnung entwickelt bis zum ersten "Hallo" schon einen Kurzfilm in unserem Kopf oder besser, in unserem Bewußtsein. Noch viel interessanter aber sind die Dinge, die sich unabhängig von einer Begegnung in unseren Gedanken abspielen, ausgelöst wovon auch immer. Mag es die Literatur sein, oder ein Lied oder ein Film oder einfach nur ein Gegenstand. Vielleicht auch ein Du, in Form eines Briefes oder einer sonstigen Unterhaltung.

Und genau das sind die wahren Abenteuer.


 


Religion

So lernt man also, nachdem man begriffen hat, daß der Weihnachtsmann und das Christkind in den Bereich der Märchen gehören, daß hinter diesen Märchen nichts weiter steht, als die Absicht, von den Realitäten des Seins abzulenken, um gewisse Dinge, bevor die Gefahr besteht, daß sie verstanden werden, auf eine andere Ebene, auf einen Nebenschauplatz zu verschieben. Es wird Verantwortung an etwas Imaginäres abgegeben und als Freiheit deklariert, obwohl das Ergebnis genau das Gegenteil ist. Man nichtet sich und entwirft sich nicht mehr selber, sondern läßt sich entwerfen und begibt sich so in die absolute Abhängigkeit, indem man sich aus einer durchaus dominanten Stärke etwas nicht Vorhandenem unterwirft. Hier ist sie also, die dominante Devotion. Mit anderen Worten: Die Religion, welcher Couleur auch immer. 


 

 

 

Das Loch im Literaturzaun

 

Was verbirgt sich nicht alles hinter so einem Zaun :

Bild aus dem Buch: "Bleib wo du bist" von Mareike Krügel

 

Literatur – eine andere Welt, vor der wir uns schützen , weil wir sie nicht verstehen oder weil wir sie nicht verstehen wollen, eventuell auch nicht verstehen können – warum auch immer – vielleicht auch, weil sie uns das zeigt, was wir nicht sehen wollen. Der Nachbar, die Meinung des anderen, vor dem oder der wir uns schützen müssen – warum ziehen wir eigentlich um unsere Vorgärten immer einen Zaun und verriegeln sie mit einem Gartentor ? Wen wollen wir eigentlich mit einem Zaun schützen? Uns oder den anderen ? Keinen Einblick gewähren oder nicht hinausschauen wollen ? Beides birgt ja Gefahren. 

Ja, Literatur findet zumindest teilweise hinter einem Zaun statt,aber nicht nur sie, sondern auch das Leben, welches sie beschreibt. Und wir schauen, wenn überhaupt, durch ein Loch in diesem Zaun und glauben,das Leben zu sehen, obwohl wir da nur einen kleinen Ausschnitt erblicken können und keine Chance haben, dieses Hinderniss zu überwinden. 

Die Freiheit erreichen wir nicht durch das Loch,sondern nur indem wir den Zaun überwinden oder ihn beseitigen. 

Aber ich glaube, daß in diesem Bild noch viel mehr steckt.Es ist nicht nur die Suche und die Entdeckung der Literatur, es ist auch ihr Inhalt.

Es nützt nichts, einen Roman einfach nur zu lesen, man muß auch mal durch den Zaun blicken, mal hinter die Kulissen schauen,das Loch suchen und ein Blick hindurch wagen. Denn erst dahinter finden wir die wirkliche Literatur, die Aussagen, die Zusammenhänge, die Hinweise, die Wege zu etwas hin. 

Der Mann auf dem Bild erinnert ja so ein bißchen in seinem Äußeren an die Dedektive,wie wir sie aus alten Filmen kennen. Und genau das ist es.Wir müssen uns auf die Spur setzen, um das Geheimnis eines guten Romans,um das Geheimnis von Literatur zu entdecken. Und das liegt nicht immer ganz offen vor uns,sondern verbirgt sich oft hinter einem Zaun. 

Und erst, wenn wir das Loch in selbigem gefunden haben,

können wir die Literatur in ihrer ganzen Schönheit entdecken 

und schließlich auch auflösen und genießen. 


 

 

Heimat

 

Dieses Wort "Heimat" aus dem Altgermanischem bedeutet ja immer etwas ganz Individuelles, nichts, was man allgemein definieren kann,weil es unausweichlich eine persönliche Beziehung zu etwas oder zu Jemandem beinhaltet, ganz gleich, ob es nun eine örtliche,eine personenbezogene, eine geistige, kulturelle oder wie auch immer geartete Beziehung beschreibt.

Blochs Heimat der Utopie oder die marxistische Variante jenseits der Klassengesellschaft. Ein unglaublich breites Spektrum.

Für mich ist Heimat immer das,worauf ich mich im Sinne von Sartre gerade entwerfe.Also auch die im Moment engste Beziehung im Denken,im Wollen, im Sein, wobei das Räumliche und das Geistige zumindest eine gewisse Einheit bilden müssen, um diesen Begriff verwenden zu können,der ja keinesweg antiquiert ist, sondern, richtig angewendet nicht nur weiterhin seine Berechtigung hat, sondern auch notwendig für unser Sein ist. Man darf ihn nur nicht eingrenzen, sondern muß ihm die notwendige Freiheit gewähren,denn Heimat gibt es nur in Freiheit und kann auch nicht gesetzlich verordnet und definiert werden, sondern ist immer ein Teil des eigenen Bewußtseins.


 

 

 

Wunschgedanken

 

Allerdings geschieht denken ja auch immer auf verschiedenen Ebenen. Da geht es einmal um die realen Dinge, egal ob im Jetzt, im Morgen oder Gestern und sehr oft bewegen wir uns auch im Raum des Wollen, des Wünschen.


Gerade habe ich in der Dankesrede zur Verleihung des Jacob-Grimm-Preises (2012) von Peter Härtling gelesen, daß es auch eine Zeit gab, in der Wünschen geholfen hat. Sicher, in den Märchen waren die Ergebnisse eines Wunsches meistens ganz handfeste Angelegenheiten. Man hatte in der Regel drei Wünsche frei, welche auch prompt in Erfüllung gingen. Nein, nicht durch Zauberei, sondern durch die Übermacht eines übermächtigen Wesens. Nun wissen wir, daß es keine übermächtigen Wesen gibt, aber ein Ersatz, nämlich unser Bewußtsein, sorgt dafür, daß das Wünschen auch heute noch hilft. Zwar wird uns der Wunsch nach materiellen Gütern auch durch unser Bewußtsein nicht erfüllt werden, aber die Wünsche, die wir dort ablagern, helfen uns, daran zu glauben, daß wir in irgendeiner Form erfolgreich sein können, wenn wir unseren Weg weiter verfolgen. Die Verheißung der Märchen ist also geblieben, nur auf einer anderen Ebene.


 

Ein Jahr 

Ein Jahr vergeht so schnell und bald schon ist der letzte November fast keine greifbare Vergangenheit mehr. Das Zeitgefühl spielt mit einem. Am Anfang sind neun oder zwölf Monate, die man vor sich hat, fast eine Ewigkeit. Wie lange das noch dauert. Wie lange dauern zwölf Monate? Gefühlt. Bevor man darüber nachgedacht hat, ist der nächste Monat schon rum. Man schafft sich Einschnitte, um die Zeit gefühlt zu verkürzen. Wenn Weihnachten  und Silvester erst vorbei sind. Dann kommt Karneval und schon können wir an Ostern denken. Nur der Dezember muß erst vergehen. Der ist immer so lang. Hat auch nur 31 Tage. Nach Ostern kann man schon den Urlaub planen. Nur, wenn der dahin ist, meldet sich bereits der Herbst. Weiß ich im nächsten November noch, was ich heute gedacht habe ?

Und was ist alles geschehen in diesen zwölf Monaten ? Nur mühsam bekommen wir alle Einzelheiten zusammen. Vieles war im letzten Jahr noch anders und vieles wird im nächsten November anders sein. Wir spüren es kaum, weil die Entwicklungen ineinander übergehen. Nur, Ereignisse kann man noch nachvollziehen, sie wieder einsammeln, Gedanken von damals sind verflogen. Heute denken wir über vieles anders, meinen wir, obwohl wir oft gar nicht mehr wissen, was wir gedacht haben. Wir denken das Damals vom Heute aus. Wir fühlen das Damals vom Heute aus. Gefühle kann man noch weniger nachvollziehen. Erinnern meint nicht nachvollziehen, erinnern bedeutet nur, die Fakten auf einer Schnur aufzureihen, weil das Bewußtsein keine Gefühle speichert. Jedenfalls nicht die allgemeinen, höchstens die ganz persönlichen, die das Sein des Bewußtseins direkt betreffen. Der Rest verschwindet in der Dunkelheit, taucht im Frühjahr, im Sommer wieder auf, aber neu gefühlt, selbiges Gefühl vielleicht, doch nie genauso gefühlt, weil jeder Augenblick unseres Seins anders ist, keiner gleicht dem vergangenen ganz genau.

 Wieder steht uns ein ganzes Jahr bevor. Was werden wir im nächsten November denken ? Wie werden wir das gerade Denkende denken ? Es gibt keine Antwort, wir können es nicht wissen, nur, daß es anders sein wird.

 Wir sind eben nicht in der Lage uns in die Zukunft zu erinnern.


 


Ruhe

Wobei ich Ruhe jetzt nicht verstehe als "Nichts-Tun", sondern eher als Abwesenheit von Lärm, als Stille. Eine Zeit ohne Geräusche. Ohne Bewegung, im Sinne von ohne etwas bewegen, etwas veranstalten, etwas erzeugen. Kann man sich in unserer sich ständig bewegenden Welt, in der jede Minute, jeder Augenblick mit Handlung erfüllt sein muß, etwas erzeugen muß, sinnvoll belegt sein muß - warum eigentlich ? - wirklich noch Momente vorstellen, die einfach nichts sind ? Momente, die im Grunde sinnlos sind, aber doch einen Sinn haben, weil es keine sinnlosen Augenblicke gibt. Jeder Wimpernschlag von mir ist nicht ohne Sinn, ist nicht einfach nur so, weil er Produkt eines Entwurfs meines Seins ist. Er ist Produkt meines Wollens - jedenfalls in dem Moment meines Handelns, welches ja nur die Konsequenz meines Wollens ist.

Nichts sein, bedeutet ja nicht, nicht existieren, nicht wollen, nicht handeln. Es ist doch nur die Zeit dazwischen, der Augenblick, der uns Zeit läßt, außerhalb der Welt zu sein, nur im Sein seines Bewußtseins zu existieren, selbst zu sein, ohne Begegnung, ohne den Anderen. Und genau hier beginnt ja unser Problem. Können oder wollen wir dies eigentlich? Oder müssen wir es, um selber sein zu können? Ist der Mensch wirklich ein Herdentier ? Ist die Zweisamkeit, die den Meisten genügt, schon der Gegenbeweis ? Genügt uns wirklich die Zweisamkeit ? Warum dürfen wir angeblich nur einen Menschen lieben und warum müssen dann alle anderen uns mehr oder weniger gleichgültig sein ? Ich höre an dieser Stelle mit den Fragen auf, weil es noch viele tausende gibt, die ich dann aber beantworten müßte oder zumindest eine Antwort versuchen müßte, was wunderbar wäre, aber den Rahmen hier sprengen würde.

Nur einen Satz noch dazu: Wenn ich am Wochenende in ein Lokal gehe, dann geschieht dies auch, um einen Augenblick der Ruhe zu ergattern. Nun wirst Du sagen, da läuft doch Musik, da wird laut geredet, da ist Leben, aber keine Ruhe. Richtig. Aber all dies ist für mich Ruhe vom Alltag. Abwesenheit vom Müssen, vom Wollen, vom Sein-Müssen. Ich bin zwar, aber ich muß nicht. Ich existiere, ohne etwas zu müssen. Klar,ich entwerfe mich in jeder Sekunde, aber ich muß nicht wollen.

Ich bin, ohne sein zu müssen.


 

Gehörlos

Wie nimmt man eigentlich die Umwelt wahr, wenn fast alle Geräusche von einem ferngehalten werden ? Unsereins meint vielleicht, in eine wunderbare Ruhe versetzt zu werden, dem Trubel entfliehen zu können, wie jedoch sieht die Wirklichkeit aus ? Wir können es uns nicht wirklich ausmalen, auch nicht durch Erzählungen der Betroffenen, aber ich stelle es mir wie ein Ausschluß aus der Gesellschaft vor, man meint wahrscheinlich immer nur einen Film vor sich zu verfolgen, einen Stummfilm, in dem man selber aber gar keine Rolle spielt. Man läuft einfach neben dem Geschehen her. Genauso würden die Töne, der Lärm den nicht-oder nur wenig Hörenden wieder in die Gemeinschaft zurückholen. Er wäre wieder Teil des Ganzen und nicht nur Beobachter.


 

Sehen und erkennen

Ja, so ist das also mit dem Licht, mit dem Sehen in der Nacht, im Dunkeln. Wer an die Verhältnisse gewöhnt ist, sieht ja auch ohne Licht fast alles, was aber nicht bedeutet, daß er es auch erkennt. Sehen kann ja mehrere Bedeutungen haben, denn wir sehen nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Händen oder gar mit dem Geist, wenn wir daran denken, einen Fehler oder auch etwas Positives zu sehen. Was wir mit den Augen wahrnehmen ist allerdings zunächst nur das Erblicken von Dingen oder Personen, was aber noch nicht bedeutet, daß wir sie auch erkennen. Etwas sehen heißt nicht, es erkennen und schon gar nicht, eine Erkenntnis errungen zu haben. Denn die Erkenntnis ist ein Prozeß, für den wir kein Licht und kein Sehen brauchen. 

Und, wer gut sieht, hat noch nichts erkannt.


 

 Die Dunkelheit des Nichts

Dunkelheit, was ist das eigentlich ? Kurz gesagt, die Abwesenheit von Licht, aber das ist natürlich nur die halbe Erklärung, denn die Dunkelheit verändert unser Leben. Sie versteckt die Farben oder zumindest viele Farben, bringt neue hervor, zeigt uns Dinge, die beleuchtet werden, von etwas, was gar nicht mehr leuchtet. Licht, welches in der Nacht zu uns kommt, stammt zum Teil von "Sternen", die längst erloschen sind. Es ist eine, für unsere Begriffe, unendliche Zeit unterwegs und erscheint uns in seiner Restkraft. Der Rest eines inzwischen Nichts.

Also hat auch das Nichts noch seinen Sinn, resultierend aus seinem ehemaligen Sein. Und dies betrifft ja nicht nur das Licht. Alles was einmal war, sendet auch nach Beendigung seiner Existenz noch etwas zu uns hinüber. Erst, wenn das All nicht mehr existiert, hat jedes Sein die Möglichkeit verloren, ein Licht in die Zukunft zu senden. Und so ist jedes Sein notwendig, damit es in der Zukunft nicht nur noch Dunkelheit gibt. Sicher, unsere Energieunternehmen würden das begrüßen, aber das kann nicht der Sinn unseres Seins sein. Bemühen wir uns also, jeder Einzelne von uns, möglichst viel in die Zukunft zu strahlen, was aber nur möglich ist, wenn wir nicht aufhören, uns zu entwerfen. Nicht auf das, was die Allgemeinheit gerade als notwendig empfindet, sondern auf das, was auch nach uns noch Ernergie erzeugt für die Existenz der späteren Sein.


 

 

 

 

 

Licht und Raum

 

James Turrell

Geb. 1943 in Los Angeles

Ein US-amerikanischer Land-Art-Künstler,

der mit seinen Raum-Licht-Installationen bekannt geworden ist.

 

The Substance of Light

Ausstellung im Museum Frieder Burda, Baden Baden

vom 09.Juni – 28.Oktober 2018

 

Wer in James Turrells Lichträume eintaucht, macht eine magische Erfahrung: Das farbige, sich verändernde Licht lässt den Raum unendlich erscheinen.

Museum Frieder Burda

 

Mein Einwurf

Das Licht, vor allen Dingen das farblich sich verändernde, bewirkt gleichzeitig eine Veränderung des Fühlens, des Gefühls, damit der Sinne, also auch des Seins.

Man tritt teilweise aus seinem Sein heraus und betrachtet nicht sich, sondern sein eigenes Sehen und auch das Sehen der anderen. Es entstehen neue Räume, unbegrenzte, unbekannte. Man ist alleine mit sich in einem Lichtraum, der je nach Farbe das Gefühl, das Empfinden ändert.

So habe ich es jedenfalls empfunden. Andere mögen verschiedene Erfahrungen machen.

Turrell malt mit Licht, mit verschieden farbigem Licht, Bilder in einen durch das Licht gestalteten Raum.

Und er macht deutlich, daß Räume nur mit Licht existieren können, deren Begrenzung sich aber durch das Licht aufhebt. Allerdings nur in unserem Empfinden. Der Künstler möchte Denken vermeiden und nur unsere Wahrnehmung in den Mittelpunkt stellen.

Indem die Raumbegrenzung durch Licht und Farben aufgehoben wird, erfährt unser Bewußtsein nur noch das Sehen des Sehens ohne an Grenzen zu stoßen und Gedanken zuzulassen.


 

 

„Cool“ findet mancher ein Bild vom Riesenrad, eher „kalt“ muß es wohl oben in den Gondeln sein, vermute ich, aber das ist eine ganz andere Sache. 

Beim Betrachten des Lichts werde ich an Turrell erinnert. Licht, was kann man nicht alles mit ihm machen, erreichen. Hier flackert es nur, soll Aufmerksamkeit erregen, Licht in vielen Farben erscheint vor unseren Augen, läßt vielleicht auch eine Stimmung aufkommen, eine Ablenkung vom Alltag. Eine Einladung sich in dieses bunte Geflacker zu begeben. Drinnen wird man dann enttäuscht, denn es ist kalt und grau, die bunten Lichter bleiben außen. Also genau das Gegenteil von Turrell.

Ich will hier nicht wiederholen, was ich oben über diesen Künstler und sein Werk bereits gesagt habe, nicht meine Eindrücke noch einmal wiedergeben. 

Aber diese beiden gänzlich verschiedenen Arten mit Licht zu arbeiten zeigen, was es alles bewirken kann, wozu es fähig ist, was es mit uns, mit unserem Bewußtsein macht. Licht beeinflußt uns, unser Denken und auch Handeln, somit unser Sein. Licht ist eben, wie ich an anderer Stelle schon einmal gesagt habe, mehr als nur Abwesenheit von Dunkelheit. Oder ist auch Dunkelheit eine Art von Licht ?

Ein Gedanke weiter: Was ist Licht für einen Blinden, der es nie gesehen hat ? Wie stellt er es sich in seiner Phantasie vor ? Da wird Licht zu einem Gedanken, einem Wunsch, das Sehen des anderen sehen zu können.Turrell.


 

 


Die Sonne um Mitternacht schauen

 

Katharina Sieverding

Geb. 16.11.1941 in Prag

Deutsche Photographin

Mit großformatigen Fotoarbeiten erneuerte Katharina Sieverding das künstlerische Potential der Fotografie

Ihre seriellen Fotofolgen sind sowohl Ausdruck von Reflexionen zur eigenen Identität als auch Stellungnahme zu politisch-gesellschaftlichen Fragen.

 

Die Sonne um Mitternacht schauen

Ausstellung im Museum Frieder Burda, Baden Baden

vom 28. August 2021 – 09. Januar 2022

 



Die Bilddaten zeigen die Kraftlinien des solaren Magnetfeldes. Die blaue Färbung ist eine grafisch-pragmatische Entscheidung von Wissenschaftlern, um diese Prozesse sichtbar zu machen, die sonst nicht erkennbar wären. Ein Portät der Sonne, das die gesellschaftlichen und ökologischen Fragen unserer Zeit anspricht.

Museum Frieder Burda

 

 

Mein Einwurf

 

Die Bilder, Photographien, bewirken die Sichtbarmachung von Dingen, von gesellschaftlichen und politischen Prozessen, Ungerechtigkeiten, Gefahren bis hin zum Virus, die sonst nicht sichtbar sind.

 

Man muß um Mitternacht, wenn die Sonne eigentlich nicht sichtbar ist, sie sich anschauen, indem man ihre Kraftlinien sichtbar macht, um die Wirklichkeit zu erkennen.

 

Zu dieser Wirklichkeit gelangt man aber nur, indem man alles hinterfragt und damit auch das Unsichtbare sichtbar macht.

 

"Ich bin das Kind auf dem Foto, aber das Kind ist nichts weiter als eine Abbildung." schreibt Wilhelm Genazino in "Die Obdachlosigkeit der Fische".

 

Ist es eigentlich auch so, wenn wir Kinderbilder von uns sehen, daß wir uns selber nur noch als eine abgebildete Person wahrnehmen, ja, fast wie einen Bekannten? Eine Person, der wir mal sehr nahe waren, aber aus der wir ausgestiegen sind, weil wir es uns gar nicht mehr vorstellen können, dort an dem Platz, mit dem Aussehen und den teilweise auch abgebildeten Gedanken zu stehen. Unsere Vergangenheit wie ein Geschichtsbuch, in dem wir lesen, etwas über uns lesen, über einen Menschen, der wir jedoch nicht mehr sind. Dieser Mensch ist "obdachlos" geworden.

Um diesen Menschen heute noch zu verstehen, müssen wir die Vergangenheit wieder sichtbar machen. Die damalige und die heutige, die Wirklichkeit hinter dem Bild.

 






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