Grass Günter

 

Günter Grass

 

*16. Oktober 1927 in Danzig-Langfuhr, Freie Stadt Danzig als Günter Wilhelm Graß

 † 13. April 2015 in Lübeck

 

Deutscher Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker.

Grass gehörte seit 1957 zur Gruppe 47


Werke unter anderem :


Danziger Trilogie

Die Blechtrommel   1959

Katz und Maus   1961

Hundejahre 1963


örtlich beträubt   1969

Der Butt   1977

Die Rättin 1986

Im Krebsgang   2002


 

Auszeichnungen unter anderem:


1965 Georg-Büchner-Preis

1999 Nobelpreis für Literatur

 

 

 

 

Im Krebsgang

Am 30. Januar 1945 wird die mit schätzungsweise mehr als 10 000 Flüchtlingen, Matrosen und Marinehelferinnen überladene "Wilhelm Gustloff" vor der pommerischen Küste von einem sowjetischen U-Boot versenkt. Unter den 1252 Überlebenden befindet sich Tulla Pokriefke, die noch während der Katastrophe mit einem Sohn niederkommt.

 Untergang und Auswirkungen bis in die deutsche Gegenwart.

 

Mein Einwurf

Fußball ist doch eigentlich nur ein sportlicher Wettkampf, doch dann hört man, Südkorea hat uns - nein, wir haben doch gar nicht mitgespielt - also die deutsche Mannschaft geschlagen - welche Unsportlichkeit, jemanden zu schlagen -, einige sprechen manchmal gar vom Versenken, vom Untergang des Gegners. Hier artet der Sport verbal zum Krieg aus, was allerdings dann auch wieder zu den wirklichen Problemen unserer Tage zurückführt.

 Diktatorengehabe überall in der Welt, ob USA, Türkei, Europa, Korea, womit der Bogen wieder zum Fußball geschlagen ist. Beim Untergang einer Mannschaft fällt mir Günter Grass ein.

Wer die momentane Situation in Europa, in Deutschland irgendwie verstehen will, sollte sich mal wieder seine Novelle "Im Krebsgang" durchlesen. Eindrucksvoll, im Erzählstil des Krebsgangs schildert er den Werdegang und das Entstehen des Jetzt.

Da lese ich auf der Rückseite des Buches: "Die dramatische Geschichte vom Untergang der >Wilhelm Gustloff<". Ja, stellvertretend erzählt er diese Geschichte, aber eigentlich geht es um den Untergang des Nazi-Regimes, durch und mit dem unzählige Unschuldige, Frauen und Kinder den Tod fanden.
Gerettet wurde von dem Schiff unter anderem eine Schwangere, die noch auf dem Rettungsboot einen Sohn zur Welt brachte. Eine neue Generation war geboren. Allerdings wußte keiner, wer der Erzeuger war.
Und so begannen in diesem Moment bereits die Probleme: Die Mutter konnte sich nur schwer vom Alten lossagen und wurde Teil der neuen DDR. Der Sohn repräsentierte den Westen, ging eine Ehe mit dem Osten ein und wurde Vater eines Jungen.Die Eltern, total überfordert vernachlässigten das Kind, welches, geistig durch die Oma aus der DDR gefüttert , ihr Gedankengut - ein Gemisch aus der Nazizeit, der DDR und Rußland - in den Westen Deutschlands transportierte. Das Ergebnis, ein verurteilter Mörder. Eine Wiedervereinigung der Eltern schlug genauso fehl, wie die mit dem Sohn, nach dessen Haftentlassung.

Hier erleben wir die Personifizierung der gesamtdeutschen Geschichte bis zum heutigen Tag. Grass hat in seiner Novelle aus dem Jahr 2002 schon das Heute vorausgesehen, die Entstehung der augenblicklichen Situation geschildert.
Geschichte bewegt sich im Krebsgang vorwärts, aber die Vergangenheit wirkt immer wieder nach. Wohin sie führt oder führen kann erleben wir gegenwärtig in Deutschland und in Europa.

"Das hört nicht auf. Nie hört das auf."
Nein, denn noch immer gibt es Haß gegen Andersdenkende, gegen Ausländer und noch immer gehen Flüchtlingsschiffe unter.

Und was hat das alles mit dem Fußball gemein ? Eigentlich nichts, jedenfalls dann nicht, wenn wir es beim Spiel mit einem Ball belassen.
Aber die Pfiffe gegen Özil und Gündogan zeigen, daß nicht alles damals untergegangen ist.

 Es hört wirklich nicht auf.


 

 

 

 

 

örtlich betäubt

Eberhard Starusch, Anführer der Stäuberbande in der Blechtrommel und inzwischen "Studienrat für Deutsch und also Geschichte" in Westberlin, sammelt 1967 Material zu einem Wehrmachtsgeneral, der im Sandkasten den Zweiten Weltkrieg nachträglich gewinnen will. Doch die Gegenwart wird für Starusch immer vordringlicher. Sein Lieblingsschüler will als Protest gegen den Napalm-Einsatz in Vietnam seinen Dackel auf dem Ku'damm verbrennen.

 

Mein Einwurf

Nun ja, das Ganze ist ja auch ein Abbild der damaligen Gesellschaft. Der Aufschwung der Nachkriegsgenerationen und dann plötzlich die Demonstrationen und eine Jugend, die diesen "wunderbaren Aufschwung" gar nicht will. Kann man das begreifen, begreiflich machen ? Es schmerzt doch, wenn man sieht, wie gerade die Studenten aufbegehren, die jedoch in Wirklichkeit nichts anderes wollen, als aufmerksam machen, daß es auch noch andere und noch immer Probleme im Land und in der Welt gibt, während auf dem Kurfürstendamm der Kapitalismus Blüten treibt und kleine Hunde wichtiger sind. Man hatte sich schon wieder eingerichtet und die grausame Zeit vergessen und lief Gefahr wieder nur zu folgen. Nicht einem Führer, aber dem Kapitalismus. Und dann war da noch das Fernsehen, das in dieser Zeit - wohl wie heute das Internet - das Leben der Gesellschaft fast bestimmte und sie ablenkte von allen noch immer vorhandenen und wieder auftretenden Problemen, das sie örtlich betäubte.


 Aber das alles ist wohl schwer zu verstehen, für Generationen, die damit nicht mehr aufgewachsen sind, genauso, wie die Geschehnisse davor für uns so schwer vorstellbar sind. Doch genau deshalb mußten all diese Fäulnisse, Distalbisse,Rückbisse aus dem Gebiß entfernt, weggespült werden, um nicht den Rest erneut anzustecken. Dafür jedoch waren mehrere Behandlungen notwendig und es reichte nicht eine Aktion. Die Menschen waren noch nicht soweit, sie wollten jetzt erst leben und nicht schon wieder Erneuerungen, nicht schon wieder Elend, nicht schon wieder Krieg (Vietnam war so weit und noch unbekannt). Sie ließen sich lieber durch das erst vollzogene Wirtschaftswunder betäuben. Vergessen und an die goldenen 20er Jahre denken, die aber gar nicht golden waren.


 Und einige Größen der Vergangenheit halfen ihnen, um auch die Erinnerung an ihre Schandtaten zu betäuben, mit Baggern alles in die Müllhalden der Geschichte zu schieben.


Stop......dies ist nur meine Wahrnehmung von diesem Roman, aus meinem Bewußtsein heraus.
Und heute ? Die Behandlung ist längst noch nicht abgeschlossen, wir sitzen noch immer im Zahnarztstuhl, heute mit dem Smartphone in der Hand.
 "Nichts hält vor. Immer neue Schmerzen."

Und in Kabul herrscht weiterhin Krieg.


(siehe auch Autorenlesung v. 17.12.2018 Michael Roes – „Hinter den Mauern liegt die Stadt. Kabul 2012“)

 

 

 

 

 

Katz und Maus

Der kränkelnde Gymnasiast Joachim Mahlke wird sich durch den spielerischen Angriff einer Katze auf seinen übergroßen Adamsapfel seiner Außenseiterrolle bewusst. Da strengt er sich zu sportlichen Höchstleistungen an, um in die Gemeinschaft der Mitschüler aufgenommen zu werden. Seine Kompensierungsversuche bringen Mahlke im Krieg sogar einen Tapferkeitsorden ein.

Pilenz, der Ich-Erzähler, erinnert sich 1959 an die Kriegsjahre in Danzig. Weil er Mahlke und die anderen durch die Sache mit der Katze auf den übergroßen Adamsapfel aufmerksam gemacht und damit eine verhängnisvolle Entwicklung ausgelöst hatte, fühlt er sich verpflichtet Joachim Mahlkes Geschichte zu berichten.

 

 

Mein Einwurf

Da gibt es so viele Einzelheiten, die einen quasi in eine immer wieder andere Welt führen und zu fast jedem Detail könnte man eine eigene Geschichte erzählen. Etwas mag dazu auch beitragen, daß Grass gerade in den Sechzigern einer meiner favorisierten Autoren war, was sicherlich auch die Zeit so mit sich gebracht hat, denn man konnte sich damals- oder zumindest konnte ich es nicht - dem sogenannten linkem Gedankengut nicht entziehen. Wobei man links in der Zeit definieren muß, als Abkehr von allem Konservativem der Nachkriegszeit, vom „Erhalten – Wollen“ des gerade Geschaffenem, das der Ordnung- wenn auch in anderer Form- des kurz zuvor in Schutt und Asche Gefallenem immer noch sehr ähnlich war. Freiheit wurde damals noch nicht individuell definiert, sondern als eine allgemeine Norm, der man sich zu unterwerfen hatte. Das war im Denken zunächst auch kein Widerspruch, weil Freiheit eben erst mal eine gesellschaftliche Freiheit war, was nach der Vergangenheit des Nationalsozialismus durchaus verständlich, aber nach ihrer Gewinnung natürlich nicht als Status Quo festgeschrieben werden konnte und sich unweigerlich zum Individuum vorarbeiten mußte. Und wie immer in solchen Prozessen gab es auch in dieser Entwicklung Auswüchse in jeder Richtung, weil Prozesse, gleich welcher Art, nie gradlinig verlaufen. 

Und gerade "Katz und Maus" beschreibt all dies sehr genau. Diese Novelle beginnt eben nicht bei der Geburt Mahlkes, sondern als er schon schwimmen konnte. Ein Alter und eine Situation in der sich in den sechziger Jahren auch die Bundesrepublik befand. Und die "Maus" war in dieser pubertären Phase zwar peinlich, aber übermittelte gleichzeitig auch ein Gefühl der Überlegenheit, die dann im weiteren Verlauf Ursache von Karriere und Untergang wird. In diesem Moment kommt die Katze ins Spiel. Sie läuft, was ungewöhnlich ist, zunächst diagonal durch das Feld, was sie am Anfang vor dem Bewerfen schützt. Zudem ist sie jung, aber kein Kätzchen mehr. Und sie ist schwarz, was landläufig Unheil bedeutet.

Genau aus dieser Perspektive heraus sollte man die Situation der 60er Jahre mal mit dem Fortgang der Geschichte vergleichen. 

Und am Ende ? „Unteroffizier Mahlke wird am Eingang verlangt! – Aber Du wolltest nicht auftauchen.“

Und als Pilenz nach Hause kam, lag sein Einberufungsbescheid auf dem Tisch.



 

 

 

Mein Einwurf

zu Günter Grass

 

Es geht um die Frage, ob Grass die von ihm geschaffene Kunst,als Literatur oder in Form seiner Zeichnungen und Skulpturen von den politischen Aussagen seiner Werke trennt, beziehungsweise trennen will.

Er hat einmal gesagt: "....ist für mich auch eine ständige Ermahnung, mit meiner Literatur dafür zu sorgen, dass sich solche Verhältnisse aber auch nicht nur annähernd wiederholen, wie wir sie in Deutschland damals gehabt haben."

Wenn dem aber so ist, dann benutzt er seine literarische Kunst für die Aussage. Er setzt seine kunstvolle Art zu schreiben ja nicht ein, um die Schönheit der Sprache oder dergleichen dem Leser vor Augen zu führen, sondern um eine politische Meinung zu verbreiten. Sein Hauptanliegen ist die Beschreibung der Verhältnisse und die Mahnung vor der Wiederholung. Dafür benutzt er seine kunstvolle, bildhafte Sprache. 

Gestattet mir ausnahmsweise noch ein Zitat: "Ich zeichne immer, auch wenn ich nicht zeichne, weil ich gerade schreibe oder konzentriert nichts tue. Und auch beim Zeichnen schreiben sich Sätze fort, die angefangen auf einem anderen Papier stehen."

Sätze, die eine Aussage beinhalten, aber die Zeichnung als Vorgänger, als Wegweiser haben. Es findet eine Verknüpfung statt. Somit eine enge Symbiose zwischen Kunst und Politik. Und ich finde, daß gerade in "Katz und Maus" die gesellschaftlichen Verhältnisse erst durch seine kunstvolle Sprache wirklich deutlich werden. Genau dafür, für das "Deutlich-machen" wird die Verbindung eingesetzt. Ich stimme ja zu: Er schafft Kunstwerke aus historischen Stoffen, aber nicht um ein autonomes Kunstwerk zu schaffen, sondern um seine Botschaften zu verstärken und auch die Leser zu erreichen, die vielleicht eigentlich nur Unterhaltung suchen.

Alles andere wäre Kunst, nur um der Kunst willen, was, meiner Meinung nach, einem Grass zu wenig wäre.


 

 

 

 

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