Rothmann Ralf

 

Ralf Rothmann 

* 10. Mai 1953 in Schleswig


 Auszeichnungen unter anderem:

2005: Heinrich-Böll-Preis

2006: Max Frisch-Preis

2013: Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg

2017: Kleist-Preis

2018: Uwe-Johnson-Preis

 

 

Milch und Kohle

(2000)

"Die Lohntüte lag noch auf dem Tisch. Meine Mutter hatte die Arme um die Taille meines Vaters geschlungen, den Kopf an seine Schulter gelegt. Sonnenschein. " Sonnenschein? Nein, "Milch und Kohle" erzählt von einer anderen Welt Ende der sechziger Jahre. Der Vater, ein Hauer unter Tage: "Nur eine Stunde müßtet ihr mal da runter. Gestern bis zum Bauch im Wasser. Nie ein Stück Himmel." Doch pflichtbewußt fährt er zur Zeche ? und trauert dem Leben als Melker in Norddeutschland nach, das er seiner Frau zuliebe aufgegeben hat. "Und warum?" fragt der fünfzehnjährige Simon seine Mutter. "Was ist besser hier, im Ruhrpott?" Die Antwort: "Hier ist Stadt: Asphaltierte Straßen, ein Fernseher, jeden Samstag Tanz bei `Maus`." Eines Tages bringt der Vater ein paar Kumpel mit nach Hause, die dem Arbeitsalltag so etwas wie Glanz geben mit ausgelassenen Festen. Die Mutter verliebt sich in Gino, den Italiener. Vor dem drohenden Unheil flieht Simon, indem er mit seinem Freund Pavel die Gegend auf der Zündapp durchstreift, pubertäre Abenteuer sucht. Bei seinem jüngeren Bruder Thomas, genannt Traska, verursacht die Sache mit der Mutter dagegen eine schreckliche, ja haarsträubende Reaktion...

 

 

 

Mein Einwurf

Milch und Kohle, die Rohstoffe nach dem Krieg.

Erinnerungen auf den ersten Seiten an meine Kindheit. Nicht auf Kohlehalden, aber auf Schrottplätzen und vor allem auf dem Gelände einer Baufirma vor unserem Fenster mit Sandhaufen, Steinen und großen Rohren haben wir gespielt. Einen anderen Platz gab es dafür noch nicht.

Dies und vieles mehr tauchte bei der Wohnungsauflösung meiner Eltern plötzlich wieder vor meinem geistigen Auge auf.

Rothmanns Erzählung scheint mir allerdings in einigen Dingen überzogen, kommt manchmal einfach klischeehaft daher, vielleicht sogar mit Absicht. In meiner erlebten Welt wuchsen jedenfalls Kinder so nicht auf. Zumindest nicht mehrheitlich. Wahrscheinlich wollte der Autor auch in erster Linie nicht die Zeit schildern, sondern nur etwas Autobiographisches loswerden.

Was mich beim Lesen jedoch viel mehr interessierte, ist die Entwicklung des Damals und was aus der Zeit übriggeblieben ist. Produkte, aber auch die Sprache.

Die Zigarettenmarken „Juno“  und „Overstolz“ sind mir im Gedächtnis, obwohl damals niemand in unserer Familie geraucht hat. Die Erwachsenen sprachen immer von Lungenschmacht.

Die Kohle brachte der Kohlenhändler und schüttete sie aus den Säcken vor die Tür. Von dort durften wir sie dann mit Eimern in den Keller tragen. Eierkohle oder in guten Zeiten Anthrazit. Nein, das war nicht die Farbe, sondern eine besonders teure Kohle.

Kennst Du noch einen Schürhaken ? Den brauchte man um im Kohleofen die Kohlen zu verteilen und die Asche in den dafür vorgesehenen Kasten zu befördern.

Warum ich mit Verwandschaftsverhältnissen bis heute nichts anzufangen weiß wird dadurch deutlich, daß alle Bekannten, Verwandten und sogar die Nachbarn einfach Onkel und Tante waren. Und letztere stoppten ihre Laufmaschen immer mit Nagellack und stolzierten mit Pfennigabsätzen durch die Gegend. Wären heute Centabsätze.

Den Sittig zu Hause fütterte man mit „Trill“-Vogelfutter und das eigene Essen wurde am Sonntag mit „Maggi“ gewürzt.

Die Milch kam durch den Milchmann, der sich mit einer Glocke in den Straßen bemerkbar machte. Aus einer großen Wanne schöpfte er  das weiße Gold mit einer Kelle in die kleinen, blechernen Milchkannen.

Musik erzeugten die  Plattenspieler und mit viel Glück später ein Tonbandgerät. Und die Menschen mit italienischem Hintergrund hießen ganz einfach „Gastarbeiter“.

Ach ja, wenn man essen gehen wollte, was natürlich eine Seltenheit war, besuchte man keine Pizzaria, sondern ging in den Wienerwald, um sich ein halbes Hähnchen zu bestellen.

Wo sind diese und viele andere Dinge heute geblieben ?

„ Er öffnete die Mülltonne neben der Tür und warf den Beutel hinein.“

Doch in ein paar Jahren wird die heutige Generation die gleichen Fragen stellen.

Die Welt ist veränderlich. Ihr Zustand nur ein Augenblick. Der „Tisch“ zum Beispiel nur eine momentane Beschaffenheit. Er ist auch Baum, Holz,Spähne, Staub.........

„Staub, der einen Besuch abstattet“


 

 

 

 

 

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