Bierbichler Josef

 

 

Josef Bierbichler

 

* 26. April 1948 am Starnberger See 

in Ambach,heute ein Ortsteil der Gemeinde Münsing

 

Deutscher Schauspieler und Schriftsteller

 

2016: Fontane-Preis der Stadt Neuruppin für Mittelreich

 

 

 

Mittelreich 

Im Ersten Weltkrieg zerschlägt eine feindliche Kugel zuerst den Stahlhelm und dann den Schädel des ältesten Sohnes vom Seewirt. Also muß sein jüngerer Bruder Pankraz das väterliche Erbe antreten. Der überlebt zwar den zweiten großen Krieg, wäre aber trotzdem lieber Künstler als Bauer und Gastwirt geworden. Da braucht es schon einen Jahrhundertsturm, der droht, Haus und Hof in den See zu blasen, damit aus Pankraz doch noch ein brauchbarer Unternehmer und Familienvater wird. Aber als der eigene Sohn ihn später anfleht, ihm die Erziehung im katholischen Internat zu ersparen, versteht er ihn nicht. Zu sehr ist man in diesen Zeiten mit anderem beschäftigt: das Vergangene vergangen sein zu lassen und die Geschäftsbedingungen der neuen Gegenwart zu studieren.

 

 

 

 

Mein Einwurf

Was für ein Titel ! Da kommt seine Mehrfachbedeutung schon im ersten Abschnitt, eigentlich schon in den ersten beiden Sätzen zum Ausdruck, was einem aber erst viel später bewußt wird.
“Hier kriegt jeder was ab, nicht nur von die Grossen.” Nicht nur die Großen, wie sonst üblich, bestimmen hier die Geschichte,sondern die unteren gesellschaftlichen Schichten, besonders die mittleren durchlaufen hundert Jahre deutsche Geschichte.
Da habe ich doch in einer Kritik über dieses Buch neulich, ich weiß nicht mehr wo, gelesen, daß die vielen kleinen Geschichten sehr vewirrend seien und das Werk unübersichtlich machen würden. Ich denke,das Gegenteil ist der Fall. Durch die vielen kleinen Geschichten entsteht erst Geschichte. Die Geschichte des Mittelreichs - Bayern,zwar nicht mitten in Deutschland, aber mitten im Dritten Reich. Dieses mitten zwischen dem alten Reich und dem neuen,der Bundesrepublick.Vielleicht auch das Denken in der Entwicklung vom Damals zum Heute. Aber ich sehe Mittelreich eher als Adjektiv. Nicht arm,nicht reich, mittelreich. Eben die Mittelschicht.
Und nichts paßt hier doch besser als “reich”, wegen seiner offenen Selektionseigenschaften hinsichtlich möglicher Erstglieder - fettreich, salzreich, ideenreich,wolkenreich, risikoreich, mittelreich - .Das Leben und damit die Geschichte spielt immer in der Mitte der Gesellschaft,was sich auch in den kleinen Geschichten,die jede für sich ein anderes Thema anreißen, andauernd wiederspiegelt.
Da haben wir zum Beispiel die verlogene Moral, sichtbar unter anderem bei der Alten Mare -oder war sie gar nicht verlogen? Jedenfalls nicht bei allem. Lügen wir uns manchmal nicht heute noch etwas vor? Wir leben in der Mitte der Gesellschaft und wir wollen dazugehören. Wenn schon nicht reich, dann wenigstens mittelreich sein.
Die Geschichte aus dem Internat. Erinnert sie nicht sofort an die Odenwaldschule ?
 Nicht zu vergessen das fast vergewaltigte Fräulein - ein Zwitter, ein Reich mitten zwischen den Geschlechtern, ausgestoßen,sich sogar selber verleugnend ,aber auch mittelreich ? - .Am härtesten trifft es immer die Armen und die Reichen, die in der Mitte sterben alleine. Da haben wir Tuceck und seinen Tod,seinen Selbstmord.

Die letzten Seiten bieten noch einmal eine andere Dimension: Wir haben alle unsere Hoffnungen und Wünsche, manche werden erfüllt, viele bleiben uns versagt. Manche sind reich, weil ihnen alles erfüllt wird, manche arm, weil ihnen alles versagt wird, aber der Mehrheit gehen zumindest manche Träume in Erfüllung. Und auch wenn nicht alles bis zum Lebensende wahr wird, so verabschieden sie sich zumindest mittelreich.

Der vorletzte Satz lautet: "Die Erde ist keine Heimat."
Sie ist ein Mittelreich zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

 Die Geschichte der letzten hundert Jahre, die Geschichte der Menschheit besteht aus unendlich vielen kleinen Geschichten und ja, Herr Kritiker, die Geschichte der Menschheit ist verwirrend !


 

 

 

 

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