Geiger Arno

 

Arno Geiger

* 22. Juli 1968

in Bregenz, Voralberg

Österreichischer Schriftsteller


Werke unter anderem :


Alles über Sally   2010

Der alte König in seinem Exil   2011


 

Auszeichnungen unter anderem:


2011: Preis „Die zweite Realität“ der Stiftung Sonnweid, Schweiz, für Der alte König in seinem Exil 

2011: Ehrenpreis (Kategorie Medien- und Öffentlichkeitsarbeit) des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes, für Der alte König in seinem Exil 

2005: Deutscher Buchpreis

2010: Literaturpreis der Voralberger Buch-und Medienwirtschaft für Alles über Sally

2011: Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg

2011: Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse für Der alte König in seinem Exil 

2011: Johann-Beer-Literaturpreis für Der alte König in seinem Exil 


 

 

 

 

Der alte König in seinem Exil

Arno Geiger erzählt von seinem Vater, dem die Erinnerungen langsam abhanden

kommen, dessen Orientierung in der Gegenwart sich auflöst.

Offen und liebevoll beginnt Arno Geiger seinen Vater von neuem kennenzulernen,

geht mit ihm durch die Landschaft, in der sie beide ihre Kindheit verbracht haben,

hört auf seine wunderbar poetischen Sätze. Ein lichtes, lebendiges, oft auch 

komisches Buch über ein Leben, das es immer noch zutiefst wert ist,

gelebt zu werden.

 

 

 

Mein Einwurf

Ein paar Gedanken, die sonst verschwunden sind, weil man ja nie weiß, wann genau aus dem Vergessen mehr geworden ist, wann das Sein sich eine neue Existenz vor dem Hintergrund der Welt, die man irgendwann nicht mehr begreift, erstellt.

Wenn man die ersten Seiten von Arno Geiger ließt, dann hat man den Eindruck, daß er eine Biographie seines Vaters verfaßt, besonders von seinen letzten Jahren. Und ich mußte beim Lesen immer wieder innehalten, denn ich begegnete ganz vielen Punkten, die ich aus dem Jetzt kenne. Verhaltensweisen gleichen sich, als ob sein Vater auch meiner sei. Ich verstand, was er fühlte, was er erlebte und was in ihm vorging.
Aber im Laufe des Geschehens, besser, im Laufe der Beschreibung wird das Ganze immer mehr zum Roman und auch der Erzähler, die Ich-Figur Arno Geiger, entwickelt sich zu einer Romanfigur. Von der Wirklichkeit, so wie ich sie auch kenne, entfernt er sich immer mehr, sie, die Wirklichkeit sieht einfach anders aus, was er jedoch nicht ganz verheimlicht, denn an einer Stelle heißt es (der Vater ist inzwischen in einem Altersheim):
"Wenn ich von meiner Schwester wissen wollte,was es von ihren vielen Besuchen zu berichten gebe, winkte sie ab, meine Strategie sei es, davon zu erzählen, ihre Strategie sei es, das, was sie dort erlebe, sofort zu verdrängen. Sie sei froh, wenn sie, fünf Minuten nachdem sie zur Tür raus sei, alles vergessen habe, je eher, desto besser, sie finde es nicht interessant, sondern zum Weinen. Wenn sie das, was ich schreibe, lese, gehe es ganz gut, dann könne sie darüber schmunzeln. Doch die Situation selber sei ein Horror."

Am Ende verkommt das Ganze etwas zu einer Sammlung und Aneinanderreihung von Sätzen aus der "Küchenphilosophie".Es soll Nachdenken über den Tod sein, aber es handelt sich nur um Allgemeinplätze.
"Wenn die Menschen unsterblich wären, würden sie weniger nachdenken."
"Der Tod ist einer der Gründe, weshalb mir das Leben so anziehend erscheint."
"Die Zeit wird weiter dahingehen, allen Protesten zum Trotz."

Alles in allem aber zeigt dieses Buch eines - und darum habe ich es gerne gelesen, denn es hat mich erst zu diesen Überlegungen gebracht -, es offenbart die Tatsache, daß es unmöglich ist, Demenz wirklich zu begreifen, obwohl man glaubt, sie nach einiger Zeit zu verstehen. Insofern nützen auch die Überlegungen über den Tod, weil auch er nicht begreifbar ist. Die Ich-Person, also Arno Geiger, spielt sich zwar dies Begreifen vor, scheitert aber schließlich an seinem Glauben, es zu begreifen.

Angesichts seiner Unfähigkeit, seinen Vater zu verstehen, was er sich selber gegenüber aber nicht zugibt, schaukelt er das Bild von seinem Vater hoch und macht ihn zum liebenswertesten Menschen der Welt,ja, zu seinem König. Aber dieser König ist längst im Exil angekommen und von dort versteht er den Sohn besser, als umgekehrt, denn dort im Exil hat er ein neues Sein angenommen und kann sein altes nur noch von außen betrachten.

In der Demenz verliert der Mensch zwar sein ursprüngliches Sein, aber nicht sein Wollen, sein Verstehen-Wollen.

 Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen, denn es regt zum Nachdenken über diese Krankheit an, aber es hilft nicht. Und dem Außenstehenden vermittelt es nicht, zumindest nicht immer, das wirkliche Bild. Was ich nicht ganz verscheuchen konnte, ist das Gefühl, daß es sich nicht um tatsächlich Erlebtes, sondern eben um einen Roman handelt, was aber insgesamt nicht gegen das Buch spricht. 

Gestattet mir an dieser Stelle einen Satz von mir zu wiederholen: Dem Außenstehenden vermittelt es nicht das wirkliche Bild.

Nun gibt es viele Kommentare von Psychologen zu diesem Thema. Allerdings habe ich immer so meine Schwierigkeiten mit diesen Psychologen.  Natürlich ist es besser all die Dinge zu verarbeiten, in dem man sie in den Alltag einbindet, sie niederschreibt, drüber redet oder sie zumindest nicht in sich hineinfrißt. Aber man muß dabei - auch sich selbst gegenüber - bei der Wahrheit bleiben, was Geiger nicht immer macht. Man darf den Menschen nicht plötzlich verklären, zum König machen, wie es auch oft nach dem Tode eines Menschen geschieht.
Mit der Demenz stirbt der "bekannte" Mensch ja auch quasi dadurch, daß seine Biographie gelöscht wird. Das Bewußtsein schafft sich dann aber in der Lücke eine neue. Und so entsteht ein anderes "Für-Sich".

Durch die Verklärung bedauert man den Verlust des alten Menschen und erhebt ihn in seiner neuen Situation zu etwas empor, was er voher vielleicht nie für einen war. Da besteht die Gefahr.

 Sogesehen ist der "König" auch nicht im Exil, denn aus einem Exil kann man zurückkehren, der Demenzkranke aber kann nicht zurück, sein ehemaliges Reich ist ausgelöscht. Das funktioniert eben nur im Roman.


 


Alles über Sally

Alfred und Sally sind schon lange verheiratet. Das Leben geht seinen Gang, allzu ruhig, wenn man Sally fragt. Als Einbrecher ihr Haus in Wien heimsuchen, ist plötzlich nicht nur die häusliche Ordnung dahin: In einem Anfall von Lebenshunger beginnt Sally ein Verhältnis mit Alfreds bestem Freund. Arno Geiger schreibt noch einmal den großen Roman vom Liebesverrat. Eine Geschichte von Ehe und Liebe in unserer Zeit.


Mein Einwurf

Irgendwann stellt Alfred, der Mann von Sally sich die Frage: "Was weiß man von dieser Frau nach dreißig gemeinsamen Jahren.“

Und er stellt sich diese Frage bis zum Ende des Romans. Ja, was weiß man überhaupt voneinander ? Egal nach wie langer Zeit,. Was will man wissen, was kann man wissen, was läßt der andere zu zu wissen ?

Und was benötigt es, um zu diesem Wissen zu gelangen ? Zumindest eine Menge Gemeinsamkeit, die aber auch im Alltag durch viele Kleinigkeiten gestützt werden muß. Alfreds Stützstrumpf als Symbol dafür, denn Sally muß ihn ja akzeptieren. Allerdings beweist er sich zunächst zu schwach, da muß schon ein Gipsverband her, weil es immer wieder Einbrühe in diese Gemeinsamkeit gibt.

 

Da hat man ein gemeinsames Haus erworben, es gemeinsam eingerichtet und jedes Stück hat ein Leben in der Gemeinsamkeit. Und dann wird plötzlich eingebrochen und alles versucht zu zerstören. Wer macht sowas ? War es Zufall, hatten sie Feinde, wußte jemand vom Inhalt des Hauses ? Doch viel schlimmer, die Vergangenheit (die Tagebücher) war gestohlen und beschmutzt worden. Und mit ihr ein Teil des gemeinsamen Lebens und ein Teil der Erkenntnis die Alfred zumindest glaubt von Sally zusammengetragen zu haben.

Doch den anderen lernt man nicht kennen, indem man Dinge von ihm aufschreibt.Das Wissen über ihn vergrößert sich nicht, man lernt ihn so nicht besser kennen.

Sally bemüht alle ihre Kraft, nach dem Einbruch wieder aufzuräumen, die alte Ordnung wieder herzustellen, eine äußere Ordnung, denn in ihrem Inneren bricht sie erneut in die Ehe ein. Die Affäre mit Alfreds bestem Freund Erik. Alfred erkennt sie nicht oder will sie nicht erkennen, "diese schülerhaften Annäherungen, die es seit Jahren gelegentlich gegeben hatte."

Ja, vielleicht will er von Sally, will er von der Frau, will man von dem anderen gar nicht alles wissen, sondern nur ruhig seinen Alltag gemeinsam leben. Und zwar ganz ohne irgendeienen Einbruch, der alles durcheinanderbringt, zerstört. "Ich habe heute Nacht von Nilpferden geträumt..." Auch Nilpferde können alles zertrampeln, verwüsten. Immer wieder die Angst, daß ins eigene Leben eingebrochen werden kann. Oft nur ein Traum. Man wacht auf und erfährt, daß man in den Schlaf des anderen durch sein Schnarchen eingebrochen ist, daß man selber auch oft ein Einbrecher ist.

Aber es geht ja nicht nur darum, was der andere über einen weiß, sondern auch was ich über mich selber weiß.Kenne ich mehr von mir, als der andere über mich ?

"In Menschenmengen, auf die sie (Sally) in der Schule oder auf der Straße traf, war es ihr regelmäßig passiert, dass ein Staunen über die eigene Person sie befiel, so viele Menschen und dazwischen ich." Bin ich also wirklich ein Mensch wie alle anderen ? Sehen mich die anderen als Ihresgleichen oder sehe ich alles nur wie in einem Film, von außen, ohne wirklich dabei zu sein ?

Und dann sind da noch die Kinder, die in der Schule - Sally ist Lehrerin - und die zu Hause. Was wußten sie über Sally ? Was konnten sie über sie wissen ? War sie in der Rolle der Lehrerin dieselbe wie im Alltag ?  "Die Kinder umgekehrt konnten erst recht nicht wissen, wer Sally war, wer sie selber waren, wer ihre Banknachbarn waren." Kinder im Selbstfindungsprozeß sehen Erwachsene sowieso anders und eine Lehrerin ganz besonders.Sie finden die ältere Generation als historische Epoche interessant, aber überholt.

Dreißig Jahre waren sie nun verheiratet und man wußte viel voneinander, aber nicht alles. Wer kannte schon jeweils das Denken des anderen ? "Und Sally dachte ganz etwas anderes, einer wusste es nicht vom anderen." Es war das geheime Leben, das keiner mit den Kindern und das sie auch nicht untereinander teilten.

""Alles über Sally", nein, alles konnte Alfred nicht über sie wissen, alles wissen wir nie über den anderen. Wir sind nur Atome, die für eine begrenzte Zeit eine Einheit bilden und dann wieder auseinanderfallen, formulierte es Sally für sich.

"Verstehen beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod." (Hannah Arendt)





 

 

 

 

Nach oben