Bachmann Ingeborg

 

Ingeborg Bachmann

*25. Juni 1926 in Klagenfurt;

† 17. Oktober 1973 in Rom

 

Von 1958 bis 1962 lebte sie mit Max Frisch zusammen.

 

Auszeichnungen unter anderem:

1953: Preis der Gruppe 47

 1964: Georg-Büchner-Preis

Ihr zu Ehren wird seit 1977 jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen.

 

 

Das dreißigste Jahr

Die Figuren in Bachmanns Geschichten leiden alle auf verschiedene Weise an den gesellschaftlichen Regeln. Vehement versuchen sie, sich den allgemeinen Rollenerwartungen zu entziehen - sei es durch heftigen Protest oder trotzige Resignation.

So weigert sich der Ich-Erzähler in der Geschichte „Das dreißigste Jahr“ lange, die bestehende Ordnung zu akzeptieren und eine klar definierte Rolle auszufüllen. Doch kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag spürt er in sich einen Wandel. Eine innere Macht zwingt ihn, sich zu erinnern und zwar „mit einem schmerzhaften Zwang an alle seine Jahre, flächige und tiefe, und an alle Orte, die er eingenommen hat in den Jahren“. Die eigene Vergangenheit konfrontiert ihn mit seinen Fehlern. Plötzlich will er herausfinden, „wer er war und wer er geworden ist“.

 

Mein Einwurf

Fern ab von meinem Wohnort lebe ich plötzlich in einem ganz anderen Zusammenhang, werde hineingeworfen in das Leben anderer Menschen und werde Teil ihres Lebens. Wieder hier, bin ich abgeschnitten von diesen Lebenssträngen, will aber ihre Fortsetzung nicht verpassen, sie weiter verfolgen, Genau danach fragt mein Bewußtsein und versucht, da es keine Antworten bekommt, bekommen kann, eigene Weiterführungen zu entwicklen, an die es dann beim nächsten Besuch anknüpfen kann.

Nun wirst Du sagen, aber du kannst doch an deine dortigen Lebensstränge wieder anknüpfen. Da begegnet mir der junge Mann aus Ingeborg Bachmanns Erzählung "Das dreißigste Jahr", der zurückkommt in sein altes "zu Hause" und sagt: Mein Vorhaben: Ankommen. "Er legte sich im Abteil nieder,... und dachte nach." Wie oft habe ich im Zug zurück nach meinem Wohnort gesessen und genau dies gemacht und mich gefragt, ob ich, wenn ich ausgestiegen bin, ankommen kann ? Aber kann ich zu Hause ankommen, wenn ich eigentlich gar nicht zu Hause bin ?

Natürlich treffe ich wieder viele Bekannte, viele Moll`s, so wie der junge Mann überall der Hydra Moll begegnet ist, aber das bedeutet doch nicht angekommen zu sein.
Beim letzten Mal mußte ich feststellen, daß man während meiner kurzen Abwesenheit am Bahnübergang mit Ausbesserungsarbeiten begonnen hatte. Ein ganzes Gleis war entfernt worden. Sollte das bedeuten, daß die Verbindung zu dem Ort, den ich gerade verlassen hatte, gekappt wurde ? Inzwischen hat man neue Gleise gelegt. Hoffnung. Gleichzeitig jedoch verhindert diese Hoffnung das Ankommen hier.
 "Er wollte an den Ausgangspunkt zurückkehren". Also ganz neu anfangen, dort, wo man sich nicht zu Hause fühlt. Kann man mit diesem Gefühl ankommen und neu starten ?

Im dreißigsten Jahr, mitten im Sommer des Lebens.Oder schon im August,kurz vor dem Herbst?

„Ihm war Angst, weil der Sommer sich so verausgabte. Weil das bedeutete, daß bald der Herbst kam. Der August war voll Panik, voll Zwang, zuzugreifen und schnell zu leben.“

Genau das ist es, was die Gesellschaft erzeugt, heute immer mehr erzeugt. Angst, etwas zu verpassen, alles geschieht auf einmal. 

Mit dreißig sind wir heute schon im August angekommen und müssen schnell zugreifen, wenn wir noch etwas erreichen wollen. Wahllos greifen wir zu, denn im September sind wir schon nichts mehr. Schnell noch „Einen Baum pflanzen. Ein Kind zeugen.“ Alles in der Hoffnung, „daß nichts eintritt, wie ich es erhoffe.“

Es gibt nur einen Trost, ich lebe noch.






Malina

Die Ich-Erzählerin, eine bekannte Schriftstellerin, lebt in Wien mit Malina zusammen, einem rationalen 40-Jährigen, der nie die Beherrschung verliert und sich von keinen Emotionen fortreißen lässt. Ihre leidenschaftliche Liebe gehört jedoch dem etwas jüngeren Ungarn Ivan, der mit seinen beiden kleinen Söhnen in der Nachbarschaft wohnt. Die heftigen Gefühle seiner Geliebten erwidert Ivan allerdings nicht ...

 Eine Handlung im herkömmlichen Sinn gibt es in "Malina" nicht; Ingeborg Bachmann hat den verstörenden Roman aus inneren Monologen und Reflexionen, Albträumen, Dialogen und nicht abgeschickten Briefen sprachgewaltig komponiert. 


Mein Einwurf

Wer ist Malina ? Oder richtiger muß man Ingeborg Bachmann wohl fragen: Was ist Malina ? Er oder Es will bei oder in ihr einen Platz einnehmen, der aber schon besetzt ist. Schon lange besetzt ist, denn ein Heute gibt es bei Bachmann nicht.

Und so ist Malina das männliche Alter ego, die männlich gedachte Autorenschaft, das denkende Alter ego. Vielleicht auch ein bißchen der Übergang vom Matriarchismus zum Patriarchismus wie bei Christa Wolf. Eines Tages werden die Menschen von Letzterem befreit werden, aber es wird eine andere Freiheit sein, als sie gedacht haben, eine größere. Was die Menschen heute unter Freiheit verstehen, ist keine Freiheit, sie halten es dafür, weil sie nicht wissen, was Freiheit wirklich ist.

"Ein Tag wird kommen, an dem die Frauen rotgoldene Augen haben, rotgoldenes Haar, und die Poesie ihres Geschlechts wird wiedererschaffen werden."

 

Und Ingeborg Bachmann treibt diesen Gedanken noch etwas weiter, bis hin zu Sartre:

Ein Tag wird kommen.......und unsere Brust weiten, wir werden tot sein und atmen.....In den Wüsten wird das Wasser versiegen, wir werden wieder in die Wüste können und die Offenbarungen schauen,.....wir werden aufhören zu denken und zu leiden, es wird die Erlösung sein.“

Denn der Mensch ist laut Sartre noch nicht fertig. Das wird er wohl erst sein, wenn er zum Ursprung zurückgekehrt ist. Dann erst ist er auch frei, auch von der heutigen Freiheit.

Sartre: „Und wenn die Spezies Mensch sich eines Tages voll-endet hat, wird sie sich nicht als die Summe der Bewohner des Erdballs definieren, sondern als die unendliche Einheit ihrer Wechselseitigkeiten.“

Sartre im Gespräch mit Benny Levy :

„...wir die wir uns in einem Vorstadium befinden, die wir zu den Menschen, die wir sein sollten und unsere Nachfolger sein werden, hinstreben, wir leben den Humanismus nur als das Beste in uns, das heißt, als unser Bemühen, über uns selbst hinauszugelangen, in den Kreis der Menschen. Der Menschen, die wir so, durch unsere besten Taten schon vorwegnehmen können.“


Am Ende siegt das Patriarchat, das Über-Ich (in der Terminologie Sigmund Freuds), der männliche Teil ihres Ichs, der am Ende den weiblichen Teil unterdrückt und zugrundegehen lässt. Ausgeführt, gelebt in den Todesart-Träumen von Ingeborg Bachmann.

 

Die achtzehnjährige, die zu Hause in keinen Bunker mehr geht, während der Vater im Krieg mitmacht und insofern indirekt dafür sorgt, daß die Töchter zu Hause begraben werden. Es ist „Der Friedhof der getöteten Töchter“ in Manila. Der Vater, der so auch seine Tochter töten könnte, es zumindest in Kauf nimmt. Im Todestraum in Manila begräbt er seine Tochter im Schnee ( Sibirien ) und schließt sie zu Hause ein, womit er indirekt dafür sorgt, daß sie nicht aus diesem Regime fliehen kann.

 

„Schritte, immerzu Malinas Schritte, ....Es kommt niemand zu Hilfe.“

 

"Es war Mord“



 


 

 

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