Gogol Nikolai Wassiljewitsch

 

Nikolai Wassiljewitsch Gogol

russisch: Никола́й Васи́льевич Го́голь;

*20. Märzjul./ 1. April 1809greg. in Welyki Sorotschynzi;

† 21. Februarjul./ 4. März 1852greg. in Moskau

 Russischer Schriftsteller ukrainischer Herkunft.

 


Mein Einwurf

Da befinde ich mich in der Welt von Gogol, seinen Hexen und Teufeln und der Welt Rußlands. Wohl ein Abglanz der damaligen Gesellschaft, eine märchenhafte, sagenhafte Welt, als Flucht vor dem, was sie nicht verstehen, verstehen können, in das, was sie wollen, aber nicht erreichen können. Aber auch ein Abgeben der Verantwortung, die sie eben nicht tragen können, die ihnen auch nicht bewußt ist. Höhere Wesen - sie sind ja ganz unten -, Hexen, Teufel übernehmen sie für sie.
Ich kenne die russische Gesellschaft, das russische Wesen, ihr Denken weder von damals noch von heute wirklich, aber, wenn es damals so ähnlich war, kann es sein, daß noch heute ein bißchen davon in ihnen verwurzelt ist?
Ja, flüchten nicht auch wir uns, wenn es schwierig wird manchmal in diese Welt ? Ist Glaube, welcher Art auch immer, nicht gleiches Denken und Handeln ?


 

Die Geschichte vom großen Krakeel

zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch

Geschrieben 1835

Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch aus der Stadt Mirgorod waren ein Leben lang gute Nachbarn und von ihren Mitbürgern hoch geehrt, nicht zuletzt ob der einträchtigen Freundschaft, die sie auf das herzlichste verband. Doch das friedfertige Beisammensein der beiden nahm ein jähes Ende, als sich Iwan Iwanowitsch, dieser »prachtvolle Mensch«, in den Kopf setzte, Iwan Nikiforowitschs altes Gewehr gegen sein braunes Schwein einzuhandeln. Iwan Nikiforowitsch jedoch wollte lwan lwanowitschs braunes Schwein nicht und nannte Iwan Iwanowitsch einen »Gänserich«. So brach ein Streit aus, der immer heftiger wurde und dazu führte, daß sich die beiden völlig entzweiten. Ein Streit, den kein Gericht zu schlichten vermochte, der Ungeheuerliches nach sich zog und Jahrzehnte währen sollte ... 


Mein Einwurf

Der Streit zweier befreundeter Nachbarn. Eine Satire aus dem 19. Jahrhundert ? Nein, sicherlich nicht, auch wenn Gogol diese Geschichte überaus humorvoll erzählt. Erstens könnte dieser Vorfall auch aus dem Jetzt stammen und außerdem zeigt der Autor die Eigenschaft nicht eines, sondern des Menschen allgemein, die ihn immer wieder in Auseinandersetzungen, Streit und vielleicht manchmal sogar den Krieg treibt.

Stolz, gepaart mit Sturheit und Rechthaberei. Eine teuflische, eine Satansmischung würde Gogol wohl sagen. Hat man sich in diesem Netz erst verfangen, gibt es kein Entrinnen mehr, selbst bei Einsicht und gutem Willen.

Dieser geschilderte Nachbarschaftsstreit hat bis heute unzählige Nachahmungen gefunden, wobei es vollkommen unwichtig ist, ob durch einen „Gänserich“ oder meinetwegen auch anderen Vogel ausgelöst. Und der Richter, welcher beim Schlichtungsversuch gescheitert ist, braucht sich keine Vorwürfe zu machen, denn fast allen nachfolgenden Richtern erging es nicht anders.

Aber es war ja nicht nur der Streit zwischen zwei Nachbarn, sondern zwischen zwei sehr angesehenen Bürgern, heute würde man sagen, zwischen zwei Prominenten, die den ganzen Tag nichts weiter zu erledigen hatten, als faul herumzuliegen. Eben so, wie man sich noch immer den Tagesablauf der Reichen vorstellt. Gedanken von Teilen der Gesellschaft, gespickt von Nichtwissen, Vorurteilen und Neid.

Also eine Geschichte wie aus den Klatschblättern , eben ein Krakeel – Lärm, Gezänk,Vogelgeschrei, Geschnatter, genau wie bei einem Gänserich-, bei dem es eigentlich um nichts ging und geht und es weiß meistens auch keiner, warum und weshalb.

Und hier sind wir auf der zweiten Ebene der Erzählung, denn dies gilt auch für Politiker, Ämter, Konferenzen und dergleichen.

„Darauf wurde der Prozeß mit jener ungewöhnlichen Schnelligkeit vorangetrieben, für die alle Gerichte rühmlichst bekannt sind. Man bezeichnete das Schriftstück mit dem Präsentatum....,heftete es ein,.....und legte es in den Schrank, wo es lag und lag....drei Jahre.“

Und: „Bei der Versammlung ging es um viele angenehme und nützliche Sachen“....“wie zum Beispiel um das Wetter....“

Eine Köstlichkeit übrigens auch die jeweiligen Bittschriften, also Anklageschriften. Auch deren Texe haben teilweise bis zum Jetzt überlebt.

So ganz nebenbei blitzt für mich in diesem Teil immer mal wieder so etwas durch, als wäre es schon ein bißchen Kafka und sein „Prozeß“.

Also doch irgendwie satirisch, denn Gogol macht sich hier zweifellos lustig über die Lächerlichkeit der Ämter, der „Beamten“ in ihrer damaligen Form, gleichsam der Gesellschaft insgesamt bis hinunter zum „kleinen Mann“.

Neid, Mißgunst – er Iwan Iwanowitsch mußte unbedingt das Gewehr des Nachbarn in seinen Besitz bringen, während Iwan Nikiforowitsch den Augenblick für ein gutes Geschäft gekommen glaubte.

Was zählte, zählt da noch Freundschaft, wenn man sich vom anderen dadurch absetzen, auf eine höhere Ebene gelangen kann, ein Vorteil gegenüber dem eigentlich auf gleicher Höhe Stehendem zu erwarten ist.

Und so werden wir wohl auch weiterhin mit der Uneinsichtigkeit und Trotzigkeit der Menschen leben müssen, mit ihrem lebenswichtigen Krakeel.

„Langweilig ist`s auf dieser Welt, Herrschaften !“



 

Die Nase

Geschrieben 1836

Die Erzählung vermischt reale Alltäglichkeiten mit Absurdem: Der Barbier Iwan Jakowlewitsch findet beim Frühstück in seinem Brot eine Nase, die dem 37-jährigen Kollegienassessor Kowaljow gehört, den er immer mittwochs und sonntags rasiert. Voller Angst verpackt er die Nase und wirft sie von einer Brücke in die Newa. Entsprechend stellt jener Kowaljow beim Erwachen fest, dass ihm seine Nase fehlt. Als er sich deswegen auf den Weg macht, um dies beim Polizeipräfekten zu melden, trifft er unterwegs in der Uniform eines Staatsrates seine eigene Nase. Er verfolgt sie fassungslos, spricht sie an, wird aber von ihr abgewiesen. Den Polizeipräfekten trifft er nicht an, eine Zeitung lehnt eine Anzeige über die Nase ab. Kowaljow kehrt ratlos nach Hause zurück, als ihm gemeldet wird, dass die Nase in dem Augenblick, da sie den Postwagen nach Riga besteigen wollte, festgenommen worden sei, weil sie einen gefälschten Pass besitze. Der Polizist, der die Nase festgenommen hat, wickelt sie in ein Stück Papier und bringt sie Kowaljow. Die Freude ist aber nur kurz, denn die Nase will an ihrer alten Stelle nicht haften, alle Versuche schlagen fehl, auch der Arzt kann nicht helfen. Inzwischen hat sich das Gerücht über eine Nase, die täglich auf dem Newski-Prospekt spazieren gehe, verbreitet. Aber eines Tages erwacht Kowaljow wieder mit seiner Nase im Gesicht, als ob nichts gewesen wäre.

 

Mein Einwurf

Sagen wir nicht immer: Du mußt deine Nase nicht in alles hineinstecken. Und gilt das nicht auch für den Staat ?

Rußland in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.

Ein Barbier findet die Nase eines Kunden, den er balbiert hat, morgens in seinem Brot. Und der Balbierte wacht ohne Nase, aber auch ohne eine Wunde auf. An der Stelle befindet sich lediglich eine glatte Stelle. Und zur Steigerung begegnet ihm seine Nase später auch noch in Uniform und wird verhaftet, sie wird also selbst zu einem Menschen.

Märchen oder Traum ? Wir kennen von Gogol beides, Hexen und Teufel sind Bestandteile seiner Geschichten. Aber schauen wir uns doch einmal die Zutaten seiner Novelle genauer an:

Welche Funktionen hat eigentlich eine Nase? Nun, dieses Organ da mitten im Gesicht ist hauptsächlich zuständig für das Riechen, das Atmen und die Stimmbildung. Nicht unbedingt lebensnotwendig – atmen können wir auch durch den Mund – aber schon entscheident für die Lebensqualität.Zudem ist der Mensch ohne sie auch im Aussehen geschädigt – zumindest nach unserer Vorstellung.

Das Brot gehört zu den Hauptnahrungsmitteln vieler Menschen, ist also ein wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens.

Und dann haben wir da noch den Barbier, der balbierte, was übersetzt auch „täuschen“ bedeuten kann. Wer jedoch ist dieser Barbier ? Vielleicht der damalige Zar Nikolai I.?

Gogol malt uns hier also, meiner Meinung nach, ein Bild der damaligen Gesellschaft (um 1836). Mit seiner Mischung aus Realismus und Groteske schuf er einen Stil, der die Wirklichkeit dem Gelächter preisgab. Und ein Gesicht ohne Nase ist lächerlich.

„Er war wie jeder ordentliche russische Handwerker ein schrecklicher Säufer.“

Es war keine sehr schöne, vorzeigbare Zeit. Es herrschte überall Stillstand und ein Spitzelnetz durchzog das ganze Land. Und diese Spitzel steckten ihre Nase überall rein, in jede Ecke des täglichen Lebens, weshalb man sie auch im Brot fand. Und selbst vor dem Barbier, der die Menschen rasierte und täuschte, machten sie nicht halt, weshalb weder Polizei noch Presse etwas gegen sie unternehmen wollen.

In diesem Zustand hat sich die Gesellschaft eingerichtet und ist auch nicht mehr in der Lage, gegen etwas vorzugehen, sie läßt sich weiter balbieren, ja, täuscht sich selber.

Am Ende war die Nase wieder an ihrem Platz, als wäre nichts geschehen. Genau das ist der Punkt, den Gogol sich wünscht. Stillstand und Erniedrigung der Menschen möge beendet werden, indem sich alles nur als ein Traum erweist, aus dem man plötzlich erwacht und Rußland sein altes Gesicht vorfindet, damit die Menschen wieder selbständig atmen können.

Und dann vergißt man die schlimme Zeit einfach, denn „derartige Ereignisse kommen vor auf der Welt-„. allerdings nicht nur in Rußland und nicht nur in der Vergangenheit.



 

Der Mantel

Geschrieben  1842

Der Beamte Baschmatschkin ist sehr fleißig und lässt sich durch nichts von seiner Arbeit abbringen. Jegliche Einflüsse von außen werden komplett ignoriert und er bearbeitet maschinenhaft seine Schriftstücke. Es bereitet ihm großes Vergnügen, nach Feierabend noch ein Schriftstück abzuschreiben. Doch die Monotonie endet abrupt. Sein Mantel ist kaputt und kann nicht mehr geflickt werden, er muss für 80 Rubel einen neuen Mantel kaufen.Dieser nach langem Sparen Erworbene wird ihm eines Nachts bei einem Überfall gestohlen und er beschließt, sich bei einer „bedeutenden Persönlichkeit“ zu beschweren und den Diebstahl zu melden. Doch er wird nicht ernst genommen und nur angeschrien und gedemütigt. Aber Baschmatschkins Rache ist furchtbar.

 

Mein Einwurf

Nein, auch wenn es einem beim Lesen sofort in den Sinn kommt, sollte man sich davor hüten, sofort an „Kleider machen Leute“ zu denken. Gogol greift hier lediglich das Thema aus „Krakeel“ und „Nase“ wieder auf. Wir erleben erneut seine kritische, humorvolle, ja satirische Betrachtung des russischen Staatsapparates. Und er geht in dieser Novelle sogar noch einen Schritt weiter: Der Staat bedient sich des kleinen Mannes, nutzt ihn aus, demütigt ihn und beraubt ihn sogar noch seines letzten Mantels.

Doch dann der Schluß. Nein, es ist nicht das schlechte Gewissen, welches die Herren zur Besinnung bringt. Es ist auch nicht der Griff in die Märchenkiste, der Tote auferstehen und sich rächen läßt. Es ist: Gogols Mahnung: Unsere Nachkommen werden dafür sorgen, daß uns Gerechtigkeit widerfahren wird. Unser Tod wird sie dafür aufstehen lassen und sie werden euch mit euren eigenen Waffen schlagen.

Für den neuen Mantel, das neue Gesicht Rußlands haben wir den Grundstein gelegt und mit unserer Hilfe wird Rußland nach unserem Tod das von euch Geraubte zurückerhalten.

Das Gespenst drehte sich um „und fragte:"Was willst du hier ?" und dabei eine Faust zeigte, wie eine solche bei Lebenden nicht zu finden ist.“

Irgendwann wird immer die Gerechtigkeit siegen, und die unschuldigen Toten werden dann im Geiste ihren Peinigern die Faust entgegenstrecken.



 

 

 

 

 

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