Becker Jurek

 

Jurek Becker

*vermutlich 30.09.1937 in Lodz/Polen, als Jerzy Bekker

 † 14.03.1997 in Sieseby/Schleswig-Holstein 

 

Deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und DDR-Dissident

Becker lebte nach 1945 in Ost-Berlin, unter anderem in einer Wohngemeinschaft mit Manfred Krug.

Mitglied der FDJ. Studierte Philosophie und wurde Mitglied der SED.

1960 ließ sich Becker vom Studium beurlauben und kam damit einer Entlassung durch die Universität zuvor,

 die seine häufigen „disziplinarischen Verstöße“ und seine „Haltung“ missbilligte

 und als „eines Studenten einer sozialistischen Universität unwürdig“ erachtete.

 

Auszeichnungen unter anderem:

1971: Heinrich-Mann-Preis und Charles-Veillon-Preis

1991: Bundesfilmpreis – Filmband in Gold

1992: Bundesverdienstkreuz

 

 

 

Jakob der Lügner

(1969)

Der Jude Jakob lebt in einem Ghetto und muss dort auf den Abtransport von sich und seinesgleichen warten. Zufällig hört er von einer Schlacht um "Bezanika" im deutschen Radio als er sich bei der Wache melden muss. Mit dieser neuen Nachricht ermuntert er die hoffnungslosen, zum Suizid neigenden Menschen im Ghetto und erfindet stets neue Nachrichten, behauptet ein Radio zu haben und sagt die Befreiung durch die Russen dauere nicht mehr lange. Nur Mut. Die Selbstmordrate nimmt ab, die Menschen sehen in seinem Radio einen Hoffnungsträger. Jakob gibt dann doch zu kein Radio zu besitzen, doch keiner will ihm glauben. Die Juden werden dennoch abtransportiert, doch die Russen befreien das Ghetto trotzdem, auch wenn sie zu spät eintreffen...

 

 

 

 

Mein Einwurf

Jahreszeiten, die es ehemals nur einmal im Jahr gab, tauchen inzwischen immer mal wieder auf, vergehen und geben plötzlich erneut ein Stelldichein. Genau dieser letzte Begriff bezeichnete früher eine Verabredung von Liebespaaren, bei der am Anfang eine sogenannte Anstandsdame anwesend war. Im übertragenen Sinn sind dies beim Frühlings-Stelldichein wohl die immer wieder auftretenden Schneeregenschauer.

Da wollte ich neulich noch schnell einen kleinen Einkauf tätigen und war auch frohen Mutes, weil die Sonne mir ein Lächeln schenkte, womit sie mich aber nur ungefähr hundert Meter mitnahm. Plötzlich stand ich mitten in einem von einer Sturmböe begleiteten Schneeschauer. Glücklicherweise konnte ich mich, wenn auch einigermaßen durchnäßt, unter ein kleines Vordach retten.

Doch wie, so überlegte ich in der Zeit bis mich die Anstandsdame wieder verlassen hatte, mußte ich das vorangegangene Lächeln der Sonne bewerten ? War es nur ein Spiel, ein Locken oder ein Täuschen, gar ein Belügen ? Bei dem Begriff  kam mir Jakob in den Sinn, den mir Jurek Becker so vortrefflich vorgestellt hatte. Doch es ging mir in erster Linie bei diesem Roman nicht um die Geschichte, sondern um den Begriff des Lügens.

Die Frage ist doch, ob man durch Lügen eventuell sein Leben retten kann oder ob es in dem Fall vielleicht gar keine Lüge mehr ist. Anders herum könnte die Lüge, die retten sollte, am Ende erst die Gefahr bringen. Möglich auch, daß man von den Belogenen gezwungen wird, weiter zu lügen, auch wenn sie wissen oder ahnen, daß es gelogen ist. Hauptsache es springt ein Vorteil für sie dabei heraus. Im günstigsten Fall ist man dann gar kein Lügner, sondern ein Erretter, ein dienstbarer Geist, ein Hoffnungsgeber. Sie, die Hoffnungslosen, brauchen die Lüge, um leben zu können, auch wenn sie alle in Gefahr bringt, ja vielleicht sogar den Tod. Dann ist der Lügner für die einen Hoffnung, für die anderen das Unheil. Und für sich selber ?

Da hat man nun gelogen, nur um Gutes zu tun und wird jetzt dafür auch noch angeklagt. Oder macht man sich das nur vor, um seine Lügen zu rechtfertigen ? Lügen, die man ja eigentlich gar nicht wollte, die einem regelrecht aufgezwungen wurden. Auch eine Lüge ? Eine vor sich selber?
Lügen gründen sich immer auf Angst. Das sehen wir in Märchen, in den Religionen oder hier in der Situation im Ghetto. Doch die Lüge verändert nicht die Wirklichkeit. Irgendwann nimmt sie dem Lügner den Schutz, den sie noch eben verbreitet hat und schlägt auf ihn zurück.
Was wird eigentlich aus Lügen, die weitergegeben werden ? Eine noch größere Lüge oder wieder die Wahrheit ? Und noch eine Frage: Kann man eine Lüge mit einer Lüge beseitigen ?

An dieser Stelle landete ich sofort bei dem Begriff "Lügenpresse" , denn Jakob war ja in dem Ghetto so etwas wie die Presse. Übrigens ein Ausdruck, den es damals noch gar nicht gab und den wohl Jurek Becker auch noch nicht kannte, jedenfalls nicht in der heutigen Bedeutung.
Ist also Jakob vielleicht der Grund, warum Rechtspopulisten heute so gerne dieses Wort übernehmen ? Will man die Presse als das Jakob-Radio brandmarken ? Etwas, was verboten war, Jakob das heimliche Sprachrohr der Juden. Stellen sich die Rechtspopulisten als Anstandsdame beim Stelldichein von Presse und Volk dar ? Auch beim Stelldichein, beziehungsweise davor und danach wurde früher ja oft gewollt oder ungewollt etwas gelogen.

Laßt mich hier meine Überlegungen lieber beenden, das Tor schließen.
 "Denn ich sehe noch die Schatten von Bäumen, und schlafen kann ich nicht, wir fahren, wohin wir fahren."

Draußen senken sich gerade die Bahnschranken und ein fast leerer Zug fährt Richtung Süden.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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