Gedankensplitter IV

 


Begegnung mit Gedanken
 

                   Gedankensplitter....

 

 

 Alltägliches Laufen

Auf viele Dinge aber nimmt der Alltag keine Rücksicht. Er bewegt sich unbeirrt vorwärts und will nur sich selber befriedigen, wobei ihm Menschliches meistens fremd ist, zumal dann, wenn es außerhalb des geraden Weges ist. Wer im Alltag auf einer Kreuzung stehen bleibt, wird ganz schnell in eine Einbahnstraße verwiesen. Beim Blinken noch diskutieren ist unerwünscht, denn das "Navi" gibt die Richtung. Da definiert sich Freiheit dann nur noch als die Freiheit des Befolgens. Das ist übrigens die Form der Freiheit und der Demokratie  die ich nicht will und wo ich an einem Punkt ankomme wo ich sage, ich verstehe, daß viele Teile in der Welt diesie Form der Demokratie nicht wollen und dann lieber ihre eigene Kultur weiter leben, auch wenn sie mit etwas Unterdrückung verbunden ist, die aber, wenn man mal genauer hinsieht, wenigstens nicht schlimmer ist, als die bei uns. 

Vielleicht hilft in diesem Alltag ein wenig das Laufen? Ja, es ist eine Möglichkeit, den Kopf wieder etwas frei zu bekommen, nicht nur für Minuten, sondern, auch wenn es nicht gleich auffällt, für längere Zeit. Man kann Entwürfe, abändern, überdenken, einordnen, fallen lassen, neue entwickeln, wieder selber Entwurf oder auch für eine kurze Zeit Nichts sein, wenn man dem Nichts ein Sein gibt.....hier ist wieder der Punkt, wo ich schwanke zwischen Sartre und Heidegger, mit der Frage, ob das Nichts ein Sein haben kann oder nicht....aber es, das Laufen, schafft zumindest die Möglichkeit des Durchatmens, um in diesem Durchatmen einen Raum zu schaffen, der leer ist, von Vergangenheit und Zukunft, der Gegenwart als Schnittpunkt beider ist, ohne eine Antwort, in welcher Richtung auch immer, geben zu müssen. Ein Augenblick des Seins ohne Entwurf. 

Bei all diesen Erwägungen wird einem erst klar, wie banal die Dinge sind, die einen angeblich täglich belasten.


 

 


 

 

 

Denkendes Känguruh


Wie innig, ruhig und zufrieden das Känguruh an seiner Möhre knabbert. Da könnten sich viele Menschen eine Möhre, äh, Scheibe von abschneiden.

....um einige Menschen mal wieder an das wirklich Wahre zu erinnern. Seien wir doch mit dem zufrieden, was wir haben, beschäftigen wir uns mit unserer Möhre, erfreuen uns daran und schielen nicht danach, was das andere Känguruh neben uns bekommt. Gönnen wir auch ihm seine Möhre, unsere ist doch groß genug.

Hannah Arendt: "Denken ist die lebendigste Einsamkeit."

Nun ist das mit dem Denken ja so eine Sache. Manchmal hat man das Gefühl, es wäre besser jemand hätte nicht gedacht, was aber nicht möglich ist, denn man kann höchstens weniger denken. Aber egal wie, es ist damit ja zunächst keine Wertung verbunden, denn Denken ist immer subjektiv oder wie Platon sagt: Ein Selbstgespräch der Seele. Mit seinem Bewußtsein wie Sartre es benennen würde. Genau deshalb ist der Satz von Hannah Arendt auch richtig.Doch genau da beginnen die Schwierigkeiten. Wer unterhält sich noch mit seinem Bewußtsein, wer weiß überhaupt, daß er eins hat ?

Wenn wir also nicht denken, beziehungsweise weniger denken, dann entfacht das so etwas wie Angst. Und zwar Angst vor dem was wir nicht wissen, weil wir unser Bewußtsein nicht gefragt haben. In der Angst aber gewinnt der Mensch Bewußtsein von seiner Freiheit.

Und so sind wir bei dem kleinen, zufriedenen Albinokänguruh. Soll heißen, wir müssen den Menschen sagen, daß Freiheit nichts Gefährliches ist, daß es nicht nur die eine Möhre, die eine Möglichkeit gibt, sondern Freiheit die Gesamtheit der Möglichkeiten ist.

Was bleibt, ist mir noch ein paar Gedanken zu machen. Über das Worüber muß ich nachdenken.


 


Lebensqualität 

Lebensqualität ist etwas Individuelles, etwas nicht allgemein Definierbares, aber etwas, was für das individuelle Sein des Bewußtsein entscheident ist, um die Freiheit des Seins nicht nur postulieren, sondern auch leben zu können. Rousseau hat gesagt: ich muß den anderen zwingen, frei zu sein. Ich will mal umformulieren: ich muß mich zwingen frei zu sein. Und all diese Dinge, ob neues Schränkchen, Kühlschrank reinigen oder was ich auch immer in meiner Wohnung verändere - dies kann auch nur das Umsetzen einer Blumenvase, das Verstellen eines Gegenstandes, das Umhängen eines Bildes oder das Staubwischen, das Staubsaugen ...ich könnte hier jetzt unendlich fortfahren... sein - verändert mein Gefühl, meine augenblickliche Empfindung gegenüber mir selber und damit auch gleichzeitig gegenüber meinem "Für-Ander". Genau dies ist der Punkt, warum ich fast ständig Veränderungen in meiner Wohnung vornehme. Nicht für einen eventuell in den nächten Wochen mal auftauchenden Besucher, sondern für mich. Wenn ich meinen Balkon herrichte  dann nicht für die Menschen, die an dem Haus vorbeigehen und es schön oder auch nicht finden könnten, sondern, weil es mir hilft, mein Sein hin zu einem positivem Gefühl zu überschreiten.


 

 

Kult

Im Rückblick verklären sich fast alle Dinge. Eigenartig ist nur, daß es fast immer die minderwertigen sind. Gut zu beobachten an der untergegangenen DDR. Was ist da inzwischen nicht alles "Kult", was früher nur Behelf war. Warum bewundert man eigentlich, auch im eigenen Leben, was man mal mehr oder weniger gehaßt hat? Es ist wohl der nachträgliche Stolz, mit dem Mangel überlebt, ihn besiegt zu haben. Speisen, die in den fünfziger Jahren bereitet wurden, weil es nichts gab nach dem Krieg, findet man heute in Spitzenrestaurants nur ganz leicht abgeändert als Spezialität. Das ist dann auch der Überdruß an sogenannten Delikatessen, aber auch der Mangel an neuen Besonderheiten und der Zwang etwas Neues bieten zu müssen. Also wieder ein Mangel, nur auf einer anderen Ebene. Somit wäre also alles "Kultige" ein Mangel, ein Mangel an Ideen, weil es dies ja schon einmal gab. Es ist nur aufgewärmt und der jetzigen Generation dargeboten, die das Original nicht mehr kennt. Vor allen Dingen den Grund der Entstehung nicht mehr kennt. Übrigens auch ein Haupterklärungspunkt der Tradition.

 (vom lateinischen „cultus“ – Verehrung, Pflege)


 

 

 

 

Ralph Dutli

* 25. September 1954 in Schaffhausen

Schweizer Schriftsteller, Lyriker, Essayist, Romancier, Biograph und Übersetzer.

 

 

"Was die Zeit mit uns anstellt, wissen die Dichter"

 

...ein äußerst spannendes Thema. Die Zeit, heute nicht faßbar, morgen nur möglich durch das Gestern. Sie prägt uns, sie verändert uns, oder sind wir die Zeit ? Bestimmen wir sie? Können wir ohne sie sein ? Gibt es sie überhaupt ? Wissen es die Dichter? Zumindest können sie es schöner ausdrücken, beschreiben, sie, die Zeit für einen Augenblick existent machen. Oder ist Zeit nur eine menschliche Illusion, ein Traum? Die Zeit ist nicht, sondern unser Sein verzeitlicht sich durch seine Existenz. 

Also gestalten wir die Zeit und lassen die Zeit nicht uns gestalten, denn ohne unsere Existenz wäre die Zeit nicht. 

 


 

 

Über die Jugend 

 

Viel, viel später merkt man erst, was im Leben wirklich zählt.
Charlie Chaplin hat einmal gesagt: Die Jugend wäre eine schöne Zeit, wenn sie erst später im Leben käme.

Ist es eigentlich schlimm, wenn ich mich immer noch mehr zur Jugend als zum Alter hingezogen fühle? Natürlich habe ich da nichts mehr zu suchen, und natürlich verstehe ich so manche Dinge der Jugend nicht mehr, aber bin ich nur deswegen alt? Real schon. Aber manchmal schaue ich mir die Menschen auf der Straße, die an mir vorbeihasten an und denke, als ich es so eilig hatte wie du, warst du noch gar nicht geboren. Ist es nicht seltsam, ich ging damals den selben Weg, gut, die Umgebung sah etwas anders aus, aber sonst hat sich eigentlich nichts verändert. Ich war so jung oder alt wie du und wußte noch nicht, was mich erwartet. Hat mich auch nicht interessiert, genauso wenig wie dich heute. Wirst du in fünfzig Jahren genauso denken und noch wissen, daß du an mir vorbeigelaufen bist? Sicher nicht, denn wir sind alle nur ein Augenblick vor dem Hintergrund dieser Welt. Und eigentlich ist es gleichgültig, wer wir sind, was wir machen, was wir denken, wie wir handeln. Wie alt wir sind.

 


 

 

Ohne mich

 

Manchmal sitze ich auf einer Bank oder stehe am Fenster und schaue auf das Treiben vor mir. Wie wäre es, wenn ich gar nicht mehr dazugehörte ? Alles nur betrachten könnte, aber nicht mehr Teil der Menschheit um mich herum wäre? Kein Punkt dieses Bildes würde sich verändern. Keiner dieser Menschen hätte einen anderen Gedanken, würde anders handeln. Kein Baum stände an einem anderen Platz, keine Blume blühte auf andere Weise, nichts auf der Welt änderte sich. Natürlich, in meiner Wohnung bewegten sich andere Menschen, ständen andere Möbel und auf manchen Stühlen würden andere Männer, Frauen oder Kinder sitzen. Und diese Bank hier, stände zumindest in diesem Moment leer in der Landschaft herum. Doch all dies beeinflußte nicht den Lauf der Welt und das Handeln der Menschen. Wir hinterlassen nur kurzfristig eine kleine Lücke, die sich augenblicklich alleine wieder schließt. Was bleibt, ist - vielleicht - die Erinnerung.

"Doch ich war jetzt nur noch ein unbeteiligter Zuschauer. Ich wirkte nicht mit bei diesem öffentlichen Drama;" 

Philip Roth in Exit Ghost

Philip Roth hat auch jemanden aus seinem Leben entfernt, Zuckerman, sein zweites Ich. Nein, er hat sich selber entfernt, nicht aus dem Leben, aber aus der Öffentlichkeit. Er hat sich - auch in der Wirklichkeit - zurückgezogen und besieht sich das Treiben von außen. Dieses "Exit Ghost" erinnert mich an vielen Stellen an Max Frisch, an Montauk. Zwei alte Männer sehen aus dem Fenster und lassen ihr Leben an sich vorbeiziehen. Zwei, die nicht mit allem Geschehen in der Vergangenheit zufrieden sind, zwei, die gerne noch einige Dinge zurechtbiegen möchten, aber nicht auf der großen Bühne, nicht vor dem Hintergrund der Welt. Alleine für sich.

Kann es sein, daß mein Urlaubsort manchmal für mich auch so ein bißchen Montauk ist und ich irgendeinen Zuckerman in diesen Wochen dort zumindest zu Hause lasse ? Unzufrieden sicher auch mit vielen Dingen in meiner Vergangenheit.Doch es nützt nichts, Korrekturen am Drehbuch vorzunehmen, die Aufführung ist längst gelaufen.

 Und so sollten wir die Erinnerung pflegen, aber dabei unser Leben nicht vergessen, denn es ist die Erinnerung für unsere Nachkommen.

 

Dann stehe ich von der Bank auf oder schließe das Fenster und entferne mich aus dem Bild. Ob es jemand merkt ?





Warte mal !

 

Ja, das Warten bestimmt fast das ganze Leben. Als Kind wartet man darauf erwachsen zu werden, als junger Mensch, älter zu werden, als alter Mann oder alte Frau noch lange warten zu können. Und dazwischen wartet man auch auf dies und jenes. Am Montag auf das Wochenende, am Sonntag auf die neue Woche, vielleicht auf einen Feiertag, auf ein Fest. Am Morgen auf das Ende des Arbeitstages, am Abend auf eine geruhsame Nacht. Im Restaurant wartet man auf das Essen, an der Haltestelle auf den Bus oder die Bahn.Oft wartet man auf eine Nachricht oder auf das Vergehen einer Wartezeit. Manchmal auf einen anderen Menschen, auf einen Termin oder einfach nur auf das Grün an einer Ampel. Früher gab es an Bahnhöfen einen extra Wartesaal. Ist unser Erdball nicht auch so ein Wartesaal wo wir auf den Anfang und das Ende warten, auf die Geburt und den Tod ? Nur, auf einen Kellner wartet man in diesem Saal auch vergebens. Man muß eben alles im Leben selber machen. 

Sogar das Warten.






Unsere Welt

 

Hier war es in der letzten Woche plötzlich wieder Winter. Da hatte ich schon angefangen, meine Sommerhemden zu sortieren, als die Welt an einem Morgen, beim Blick aus dem Fenster, unerwartet weiß aussah. Das sagt man so leicht dahin, aber was verstehen wir eigentlich unter der "Welt" ?

Irgendwann habe ich mal geschrieben: Die Welt verändert sich. Und vor einiger Zeit prägte unsere Außenministerin Annalena Bärbock den Satz : "Ich bin in einer anderen Welt aufgewacht.". Mal wird die Welt gleichgesetzt mit der Erde, mal mit dem Kosmos, dem All und oft auch mit unserer Umgebung, unserer Region auf der Erde, mit unserer Vorstellungskraft, die individuell verschieden ist, wenn wir zum Beispiel von "fremden, fernen Welten" reden. Aber was auch immer ein jeder unter diesem Begriff versteht, die Welt, jede Welt verändert sich andauernd. Wir wachen - und ich weiß natürlich, wie Bärbock es an jenem Tag gemeint hat - jeden Tag in einer anderen Welt auf, weil sich nicht jeder Morgen und jeder Tag gleicht. Genauso, wenn wir irgendwohin fahren, kommen wir in einer anderen Welt an. Jedenfalls in einem anderen Teil irgendeiner Welt. In einer anderen Umgebung. Doch das betrifft nicht nur das Äußere dieser Welten.

Wenn ich im Urlaub bin, dann an einen anderen Ort fahre, ist es wieder eine andere Welt. Andere Menschen, anderes Handeln, vor allen Dingen auch immer wieder anderes Denken.

Ja, der Überfall Rußlands auf die Ukraine hat die Welt verändert, nicht nur die westliche, aber es ist noch immer unsere Welt mit immerwährenden Kriegen. Nur diesmal ist dieser Krieg näher an unsere Haustür herangerückt. Und für einige ist der letzte Weltkrieg noch gut in Erinnerung. Vor allen Dingen hätte keiner geglaubt, daß so ein Krieg noch einmal hier in unseren Gegenden möglich ist. Das Sein hat sich verändert, das Denken einiger Menschen leider nicht.

Und dann ist es mitten im Frühling, im Sommer wieder Winter. Kalt und dunkel um uns herum. An einer Stelle bebte die Erde und legte alles in Schutt und Asche. Da, wo sich Städte noch im heilen Zustand zeigen, zerstört man sie durch Bomben. Menschen die, wovor auch immer, fliehen, ertrinken im Meer. Und hier schneite es sogar im Winter.

Da fällt mir ein alter Schlagertext ein; „Am 30. Mai ist der Weltuntergang". Wir kommen diesem Datum immer näher. Allerdings nützt es auch nichts, sich dann an der Erde festzukleben. Der Mensch oder zumindest einige sind von ihrer Entwicklungsstufe wieder heruntergefallen. Müssen einen neuen Anlauf nehmen. Wir sind eben, wie Sartre es sagte, erst in einem Vorstadium der Menschheit. Noch weit von den Menschen, die wir sein sollten, und die unsere Nachfolger sein werden, entfernt.

In zwei Wochen werde ich, wenn nichts mehr dazwischenkommt, meine Sommerhemden erneut sortieren und mit ihnen in eine andere Welt reisen. Reisen, um anzukommen. Vielleicht auch wenigstens ein paar unbedeutende Millimeter näher an die Zukunft. Nicht an unsere, sondern an die Zukunft der Menschen, die wir werden wollen. Etwas näher an den wirklichen Sommer, den wir alle ersehnen. Nicht jede andere Welt ist schließlich eine traurige. Wenn der Herbststurm die Wolken vertrieben hat, folgt auch wieder ein Sonnenstrahl. Deshalb ist die Welt immer wieder schön.

Und plötzlich ist es wieder Sommer.





 

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