Härtling Peter

 

Peter Härtling

* 13.November 1933 in Chemnitz

† 10. Juli 2017 in Rüsselsheim am Main

Gymnasium in Nürtingen bis 1952

Danach journalistische Tätigkeit

Von 1955 bis 1962 Redakteur bei der Deutschen Zeitung, von 1962 bis 1970 Mitherausgeber der Zeitschrift „Der Monat“, von 1967 bis 1968 Cheflektor und danach bis Ende 1973 Geschäftsführer des S. Fischer Verlags.

Seit Anfang 1974 freier Schriftsteller.


Werke unter anderem:


Hölderlin   1976

Hoffmann oder die vielfältige Liebe   2001

Leben lernen   2003

Liebste Fenchel   2011

Verdi   2015


 

Auszeichnungen unter anderem:


2012 Jacob- Grimm- Preis

2013 Hölderlin-Ring

 

 

 

Hölderlin

Peter Härtling folgt der Spur des deutschen Dichters Friedrich Hölderlin, seinen Lebenszeugnissen und denen seiner Zeitgenossen. Er sucht Hölderlins Orte auf. Und er findet Antworten auf Fragen, die dem Biographen offenbleiben müssen.

Härtling versteht Hölderlins Leben ebenso als einen Entwurf wie dessen Dichtung: als keineswegs verschlüsselte Mitteilung an eine Zukunft, die auch uns noch Zukunft ist.

 

 

Mein Einwurf

Da schreibt doch am 05.August 2011 ein gewisser Michael Stallknecht über Peter Härtling und seinen ebenfalls biographischen Roman über Fanny Hensel-Mendelssohn und beginnt mit dem Satz: "Die Künstlerbiographien von Peter Härtling gehorchten schon immer dem bildungsbürgerlichen Verlangen, Kunst als Produkt eines außergewöhnlichen Lebens verständlich zu machen."
Dies halte ich nicht nur für eine Fehlinterpretation, sondern auch für eine Herabsetzung des Autors, die meiner Meinung nach nur aus einem vollkommenen Unverständnis heraus möglich ist.

Härtling gehorcht in keiner Phase irgendeinem Verlangen und schon gar nicht einem bildungsbürgerlichem. Wäre dies der Fall, würde er den Leser im Glauben lassen, eine wirkliche Biographie in Händen zu halten. Dagegen macht er immer wieder deutlich, wo wissenschaftliche Überlieferung endet und seine romanhafte Erzählung beginnt, wo er versucht Lücken der Wissenschaft, des Wissens, durch seine Vorstellung zu schließen. Sein Ziel ist es eindeutig, die Hintergründe eines Lebens, der damaligen Gesellschaft, des damaligen Menschen und hier besonders seines Denkens deutlicher werden zu lassen.
Wollen wir die Werke Hölderlins oder eines anderen Menschen aus einer vergangenen Zeit wenigstens ein bißchen verstehen, dann gelingt dies nur, wenn wir sie nicht aus unserer heutigen Denkweise betrachten. Wir müssen immer wieder versuchen, uns nicht nur in jene Zeit zu versetzen, sondern auch beim Lesen die Gedankengänge der Personen in jener Zeit und zu jener Zeit nachzuvollziehen. Das kann aber nur halbwegs gelingen, wenn wir uns in die bestimmte Situation versetzen, die Ursachen des Handelns aufspüren. Es reicht eben nicht, sich die Figuren und Orte im damaligen Aussehen und Zustand vorzustellen, wir müssen auch nachvollziehen können, warum ein bestimmtes Handeln geschehen ist und notwendig war oder nicht. Oder: Wir müssen das Denken in all seinen Facetten nachvollziehen, bis hin zur Sprache und der ehemaligen Bedeutung bestimmter Wörter. Mißverständnisse und meistens falsches Verstehen entstehen immer dann, wenn wir meinen, Handlungen mit unserem heutigen Denken beurteilen zu können.

Laßt mich ein Beispiel aus unserer nahen Vergangenheit anführen. Es ist uns bis auf den heutigen Tag nicht gelungen, die ehemalige DDR zu verstehen, weil wir immer versucht haben und noch versuchen, sie mit unserer westlichen Denkweise zu ergründen. Ihr war und ist aber nur beizukommen, wenn man sie mit dem Denken der damaligen Machthaber und der Menschen in ihrer damaligen Situation betrachtet. Das ist sicherlich nie ganz möglich, aber wir müssen uns so weit wie es geht, dieser Möglichkeit annähern. Es gilt also - nicht mehr und nicht weniger -, weg von einer oberflächlichen Betrachtungsweise zu kommen.

Genau diesen Versuch unternimmt Härtling. Er will den Leser zu der Freiheit führen, die Hölderlin nicht erfahren durfte, eben, weil er in seinem Denken schon weiter war und nicht mehr in den Kategorien jener Zeit dachte. Er war weniger im Jetzt, als mehr im Morgen verhaftet, was aber seine Zeit nicht zulassen wollte. Genau daraus entwickelte sich seine Tragödie. Da ist es wieder: " Alles prüfe der Mensch, und verstehe die Freiheit, aufzubrechen, wohin er will".
Hölderlin will darauf immer wieder aufmerksam machen, indem er an das Denken und Handeln der Griechen und Römer erinnert - Hyperion -. Die Vergangenheit verstehen, bedeutet, unser heutiges Wissen und Denken auszuschalten. Und erst, wenn wir so die Vergangenheit verstanden haben, gibt es auch die Chance, uns und das Jetzt zu verstehen, denn wir leben alle vor dem Hintergrund der Welt und mit dem Hintergrund der Geschichte.

Gestattet mir noch in einem Satz, einen weiteren Vergleich: Brecht unternimmt einen ähnlichen Versuch wie Härtling, mit seinem Romanfragment: "Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar". Da könnte man die Figuren direkt nebeneinander stellen: Rarus > Höldlerlin, beide Sklaven ihrer Gesellschaft, Caesar > Johanna,Mutter von Hölderlin
Caebio,der Geliebte von Rarus > Susette, die Geliebte Hölderlins.
Ähnliche, ja, gleiche Gestalten, die uns mit zunächst gleichen Handlungen begegnen und doch aus ganz anderen Motiven handeln, weil verhaftet im Denken ihrer Zeit.

 All dies will Härtling verständlich machen und mischt daher immer wieder sein Sehen und Denken mit dem Sehen und Denken jener Zeit. Wie notwendig es ist, beweist die Tatsache, daß ein Autor der SZ seine Kritik im Jahre 2011 noch mit dem oben zitierten Satz beginnt.


 

 


 

 

Liebste Fenchel !

Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn in Etüden und Intermezzi

Eine Komponistin eigenen Ranges im Schatten ihres berühmten Bruders. Peter Härtling beschreibt das Leben von Fanny Hensel-Mendelssohn, der Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Er erzählt vom Aufbruch in die beglückende Welt der Musik und von einer deutschen Familie im 19. Jahrhundert, die einen Angelpunklt des gesellschaftlichen Lebens bildete.

 

Mein Einwurf

So wie Härtling über das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn Bartholdy oder man muß wohl sagen, aus ihrem Leben berichtet, ist es gleichzeitig eine Biographie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Musik jener Zeit. 

Drei Schauplätze auf einer Ebene: Die Gesellschaft-hier hauptsächlich die höhere Gesellschaft-, die Individuen in der Gesellschaft und die Musik. Was fast komplett außen vor bleibt, ist das politische Geschehen. Es spiegelt sich lediglich ab und zu in der Gesellschaft wieder. Ein Nebenschauplatz ist noch der religiöse Aspekt, die Judenfrage.

In der Erzählung Härtlings mutet es zunächst an wie ein Wettkampf zwischen zwei Geschwistern, aber es ist mehr, es ist der Wettstreit der Geschlechter, allerdings ein ungleicher Wettstreit, da der feminine Teil schon von Kindheit an herabgestuft wird. 

Fanny hatte von Anfang an nur auf ihren Bruder aufzupassen, sie war verantwortlich für ihn, verantwortlich dafür, daß er zum Star der Familie heranwächst. Ihre eigenen Wünsche, ihr eigenes Leben hat sich diesem Ziel stets unterzuordnen. Bis zum Ende, sie stirbt sogar vor ihm, während er, der Meister und Held noch mit seinem Tod sein Versprechen einlöst. 

Die Frage, wer musikalisch in diesem Wettstreit die Nase vorn hatte, bleibt unbeantwortet, muß unbeantwortet bleiben, weil die damalige Zeit nur eine Antwort zuließ. 

Es ging auch schon damals nur um Reichtum und Macht. Die Kunst der Hensels und Mendelssohns war nur ein Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Und die Geschwisterliebe war für Fanny die einzige Möglichkeit ihren Traum, ihre Gefühle, ihre Wünsche wenigstens in Ansätzen leben zu dürfen. 

Aber genau betrachtet, haben alle lieber Leid auf sich genommen, als der Macht zu entsagen, auch nicht der Macht der Musik.

„Warum schafft der Mensch sich immerfort sein Elend?“

„Wir sind … von Grund auf unbelehrbar in Neid und Besitzgier.“

Ist das der Grund, warum uns diese Musik noch heute so berührt ? Oder benutzen wir diese Musik heute nur als Mittel, um uns über andere zu erheben ? War sie nicht schon damals mehr oder weniger einer Klasse vorbehalten? 

Felix nennt seine Schwester Fenchel – ein Doldengewächs, dessen Kraut und Früchte als Gewürz benutzt werden. Anders ausgedrückt: Er benutzt seine Schwester, auch ihre Musik, ihre Kompositionen, ihr Talent um seinen Aufstieg zu würzen, zu verfeinern, geschmacklich auf eine höhere Ebene zu heben. Die Frauen, die in erster Linie für Kinder und Küche zuständig waren, hatten als Gewürz für den Mann zu dienen. Oder, wie Härtling es schon im Titel nennt:

Als Etüde. *


* Etüde: Ein Instrumentalwerk für ein Soloinstrument, das dem Musizierenden zu größeren Fertigkeiten auf seinem Instrument verhelfen soll.

 

Nachwurf

Auf Seite 83 lese ich plötzlich den Satz: "Sie (Luise Hensel, die Schwester von Fannys Mann) hat Berlin verlassen, lebt in Paderborn, geliebt von ihren Lesern, eine Dame, Dichterin, katholisch bis in den Seelenkern."  Aber in dem Moment erinnere ich mich an ein kleines Denkmal unweit meiner Wohnung für eben diese Luise Hensel.


 

 

Giuseppe Verdi

Ein Roman in neun Fantasien

Ein Leben für die Musik: Giuseppe Verdi (1813-1901), wie ein Kenner und Bewunderer ihn sieht.

Ein beglückender Roman über den alternden Verdi und seine vertraute Gefährtin Peppina. Sprachlich virtuos, höchst kenntnisreich und mit musikalischem Gespür nimmt Peter Härtling, Autor hochgelobter Künstlerromane, den Leser mit in das Leben des großen Komponisten und Philanthropen.

 

Mein Einwurf

Fast möchte man sagen, es ist wie immer bei Härtling, keine Biographie, aber auch kein wirklicher Roman. Es sind, wie im Untertitel zu lesen: „neun Fantasien“.

Verdi hat keine einzige Phantasie geschrieben, obwohl er immer von einer neuen Musik „phantasiert“ hat, was im Fallstaff, seiner letzten Oper, dann Wirklichkeit wurde.

Härtling allerdings phantasiert von den letzten Jahren Verdi`s, von seiner Musik von seiner Ungeduld bis zum Schluß, auch in Bezug auf sein anderes Projekt, die Stiftung für das Altenheim, sein Altersheim. Auch eine andere Welt, eine andere „Musik“, ein neues Stück, vielleicht eine unvollendete Oper, seine allerletzte.

Sind es Phantasien, die uns beim Älterwerden begleiten ?

„Lauter alte Geschichten, mit neuem Personal."

Ist die Ungeduld Angst, sie nicht mehr Wirklichkeit werden lassen zu können ?

Peppina: „ Helfen die Weißkittel mir, den Koffer für die Ewigkeit zu packen ? Sie haben ja keine Ahnung, was ich mitnehmen möchte.“

Phantasien von einem eventuell nicht gelebtem Leben. Ist das Leben ein Roman, eine Oper oder eine Phantasie ?

„Flieg, Gedanke, flieg !“

(Gesang der befreiten Hebräer. Nabucco)

 


                              

                 

 

 

 

Hoffmann

oder Die vielfältige Liebe

Peter Härtling erzählt von E.T.A. Hoffmann und dessen Bamberger Jahren, als der vielseitig begabte romantische Künstler Julia, das Urbild seiner Kindfrauen, kennen lernte, um ihr zu verfallen.

 

 

Mein Einwurf

Da treffen wir bei Härtling mal wieder auf einen Menschen, der seiner Zeit voraus ist, dem seine Gegenwart nicht genügt. Und wie alle anderen flüchtet auch er in die Liebe, um die Zukunft zu erreichen. Hier begleitet von der musikalischen Sprache Härtlings.

E.T.A. Hoffmann sucht sich immer wieder eine andere Welt, eine andere weibliche Stimme in der er die Zukunft in der Gegenwart leben kann. Sein Nicht-Erfolg läßt ihn den Erfolg in der Liebe zu den Sängerinnen suchen. Julia, das Käthchen in Bamberg, die erste Note zur Vollendung der Undine.

„Du bist betrunken, Hoffmann“  sagt Mischa immer wieder. Ja, er ist betrunken, aber nicht nur vom Alkohol, sondern vor allen Dingen von der Musik, von der Jugend, von der Liebe, vom Wunsch nach Erfolg. Drogen bis kurz vor dem Wahnsinn.

Genau dieser Hoffmann begegnet uns auch heute überall im alltägliche Leben, in der Kunst.Nur Undine singt nicht mehr. Die Häuser der großen Kunst stehen in „Flammen“, die Kunst verkommt.

E.T.A. hat etwas hinterlassen in der Seele Julias, in unserer findet er keinen Platz mehr.

 

„O wie sie lieblich lacht.

Undine,

Zur guten Nacht !“

 

Und „Mischa schläft mit ihm ein und wacht ohne ihn auf.“



 

 

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