Autorenlesungen2016

 

Autorenlesungen

 

 

 

Deutsche Literatur der Gegenwart

2016

 

   Gedanken -

                                beim Zuhören geboren

 

        

Guntram Vesper - Ulrich Peltzer - Judith Hermann - Franziska Gerstenberg - Roland Schimmelpfennig - 

Lutz Seiler

 

 

 

                                    

Guntram Vesper

liest aus: "Frohburg" - 24.10.2016

   

* 28. Mai 1941 in Frohburg / Sachsen

+ 22.Oktober 2020 in Göttingen


 

 2016 Preis der Leipziger Buchmesse für Frohburg (Kategorie: Belletristik)

2017 Erich-Loest-Preis für Frohburg

          

 

 

 

Frohburg

"Frohburg" ist das opus magnum von Guntram Vesper, zugleich für den Autor der Ausgangspunkt von allem: Der Ort seiner Geburt 1941, Jugend, Aufwachsen und Erwachen, die Flucht der Familie 1957, das umliegende Land die Folie der Geschichtsbetrachtung einer deutschen Epoche.

 

Notizen

Da lese und höre ich immer wieder: ein großartiges Prosawerk neben den Büchern von Walter Kempowski....
Nun, daß man Kempowski wohl noch immer nicht verstanden hat oder verstehen will, scheint mir inzwischen klar, aber warum wird dieser Vesper mit seinem Wälzer so hochgelobt?

Gelesen hat er nur wenige Seiten, weil es ihm angeblich zu anstrengend war - ist ja auch schon 75. Es glich auch mehr einem "Vor-sich-hermurmeln", weil er wohl den Text mehr oder weniger auswendig konnte. Gleichzeitig wich er auch schon mal vom Geschriebenen ab, setzte Wörter ein, strich welche, fing plötzlich an, frei zu erzählen, da er nach eigener Aussage beim Lesen immer noch am Text arbeite, ihn versuche zu verbessern, jedenfalls zu verändern. Bei Fragen schweifte er dann in irgendwelche Erzählungen ab, aber von Antwort keine Spur.

Diese tausend Seiten seien keine Biographie, darum ginge es ihm nicht, er wolle seine persönliche Geschichte mit der Geschichte verbinden. Dabei landet er für mich viel zu viel im Detail, um dann wieder nebenbei von unzähligen anderen Dingen zu berichten.

Und so wirkt er immer wieder wie jemand der eine nichtendende Unterhaltung alleine führt und dabei ausschließlich von gestern erzählt. Alles, was jeder kennt, der einen Vater oder einen Opa aus jener Zeit hat und sich all die Geschichten immer wieder anhört.

 Dabei vermisse ich auch das spannende Erzählen, wie es Kempowski kann. Ja, auch er erzählt seine Familiengeschichte, aber dabei wird es nie langweilig und man erfährt ganz nebenbei fast alles aus jener Zeit, sie läuft vor meinen Augen ab, obwohl die Politik nicht wirklich ausgebreitet wird. Bei Vesper wirkt es wie ein Sammelsurium. Blos nichts vergessen. Alles, was er findet, was ihm hingeworfen wird, schnappt er auf, auch heute noch, um es nachträglich einzubauen. Vieles sind Allgemeinplätze. Einmal sagt er selber, er möchte sein Leben hinterlassen. Also doch eine Biographie ? 

Dazu paßt dann, daß es in diesem Buch keine Kapitel gibt. Er hat die gesamten tausend Seiten, Entschuldigung, tausendundacht Seiten - er betont es immer wieder - in einem Block geschrieben. Viel zu anstrengend. Als Begründung liefert er lediglich die Kostenfrage beim Druck - überhaupt immer wieder der Hinweis, wie teuer das doch alles ist -. Für mich als einziges Argument nun wirklich etwas zu dürftig.

Machen wir es kurz: Manchmal ist weniger mehr. Von toller Sprache und Erzählweise keine Spur. Und der Vergleich mit Kempowski, da fällt mir nur der Satz von Karl Kraus ein:
"Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge einen langen Schatten."
 Mit der Papierstärke des Buches durchaus machbar.

 

 

 

 

Ulrich Peltzer

liest aus: "Das bessere Leben" - 31.10.2016

 

Geboren am 9. Dezember 1956 in Krefeld

Deutscher Schriftsteller

Studierte Psychologie und Philosophie.

Schloß das Studium 1982 als Diplom-Psychologe ab.

 


Werk unter anderem :

Das bessere Leben, Roman  2015


Auszeichnungen unter anderem:

1997: Anna Seghers-Preis

2011: Heinrich-Böll-Preis

2015: Franz-Hessel-Preis für Das bessere Leben

2016: Kranichsteiner Literaturpreis „in Anerkennung seines bisherigen Werks unter besonderer Berücksichtigung des Romans Das bessere Leben“

 

 

 

Das bessere Leben

Was hält unsere undurchschaubare Welt zusammen: Träume, Geldströme, Gott oder der Teufel? Im 20. Jahrhundert diskutierten, lebten und kämpften junge Menschen an amerikanischen Universitäten, in Frankfurt und Moskau für eine gerechte Ordnung, für eine bessere Zukunft. Doch die Utopien sind in Terror umgeschlagen.

 

 

Notizen

Themen des 20. Jahrhundert. Was ist von den Themen, den Ideen auf allen Gebieten geblieben? Wo liegt die Bedeutung, wenn nur noch der Zufall in der Zukunft entscheidet ?

Vietnamkrieg, Proteste in den USA. Rückblick auf die Geschehnisse von damals, sind sie heute noch zu verstehen ?

Vergangenheit und Gegenwart der Personen gehen ineinander über. Keine abrupte Erinnerung. In der Gegenwart die Vergangenheit sortieren. 

Man sucht den logischen Fortlauf der Geschichte des Lebens, Lücken darf es nicht geben. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern nur um das Warum.

Was wäre, wenn wir unsere Entscheidungen dem Zufall überlassen würden ? Zum Beispiel eine Münze werfen ? Wie wäre unser Leben verlaufen ?

Die  Personen kämpfen um ein besseres Leben, als es im 20. Jahrhundert stattgefunden hat. 

Peltzer liest interessant, hat aber Schwierigkeiten bei Erklärungen, bei der Beantwortung von Fragen, besonders wenn sie tiefer gehen.

Es zeigen sich, zumindest an der Oberfläche, Parallelen zu Frisch > Zufallsprinzip / Schicksal

-So lernt eine der Hauptpersonen zufällig, doch auch dieser Zufall wirkt nicht wirklich zufällig, eine Dame in einem Restaurant kennen. Es folgt eine ausführliche Gegegnungsbeschreibung, für mich zu ausführlich.-

Peltzer verneint eine Verbindung zu Frisch, auch stellt er sofort klar, daß er kein Frisch-Experte sei. Doch meiner Meinung nach überschneiden sich zumindest oft die Gedanken. 

Es stellt sich die Frage nach dem besseren Leben, früher oder heute ? Nach seinen Erläuterungen sind ihm allerdings ganz andere Dinge wichtig. Welche, bleibt unklar. 

 

 

 

 

Judith Hermann

liest aus: „Lettipark“ – 07.11.2016

 

Geboren am 15. Mai 1970 in Berlin

 Deutsche Schriftstellerin.


Werke unter anderem :

Sommerhaus, später. Erzählungen – 1998

Lettipark. Erzählungen – 2016

Daheim. Roman -  2021

 

Auszeichnungen unter anderem:

2001: Kleist-Preis für Sommerhaus, später

2021: Rheingau Literatur Preis für Daheim

2022: Bremer Literaturpreis für Daheim

2022: Preis der LiteraTour Nord für ihr bisheriges Werk und für Daheim

 

 

 

Lettipark

In ihren Erzählungen spürt Judith Hermann diesen alles entscheidenden Momenten nach,

unserer Einsamkeit und Wut und Sehnsucht.

 

 

Notizen

Was initiiert eine gute Geschichte ? Ein kleiner Moment, der einen Funken schlägt, der weiter geht. Es gehört dazu etwas Rätzelhaftes.

Die Autorin geht jeweils von einem Satz aus und entwickelt daraus eine Geschichte, besser, sucht eine Geschichte dazu.

Nach ihrer Meinung entscheidet nicht der Autor über die Länge des Textes, sondern der Text selber – die Figuren.

Bei ihrem Geschichtenband gehören diese bei ihr zusammen, gehen ineinander über  - auch in der Reihenfolge. Kurzgeschichten sind im Band nicht einfach zusammengestellt, sondern gehören zusammen.

Ihre Figuren haben reale Vorlagen oder setzen sich aus mehreren realen Menschen (bekannten) zusammen.

Die Geschichten sind irgendwie autobiographisch, aber keine Abbildungen eins zu eins. Die eigene Wirklichkeit dient nur als Vorlage, als Richtschnur. Aber die Geschichten speisen sich aus den eigenen Erlebnissen.

Bei Judith Hermann lohnt es sich für meine Begriffe nicht, über die Erzählungen zu reden. Aber es ist immer wieder interessant, die Hintergründe zu erfahren, die Herangehensweise, das Wie  und Warum und die Augenblicke, die zu gewissen Handlungen führen, welche das Schreiben beeinflussen.

 

Siehe auch Autorenlesungen 2022 ("Daheim")

 

 

 

 Franziska Gerstenberg

liest aus: „So lange her, schon gar nicht mehr wahr“ – 14.11.2016

 

Geboren am 22. Januar 1979 in Dresden

Deutsche Schriftstellerin.

Studiert am Deutschen Literaturinstitut Leipzig die Fächer Prosa, Lyrik und Dramatik/Neue Medien

 und war zwei Jahre Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift EDIT.


Werk unter anderem :


So lange her, schon gar nicht mehr wahr   2016

 

Auszeichnung unter anderem:


2016: Sächsischer Literaturpreis für So lange her, schon gar nicht mehr wahr

 

 

 

So lange her, schon gar nicht mehr wahr

Franziska Gerstenberg beschreibt in ihren neuen Erzählungen die in jeder Hinsicht prekären Verhältnisse unserer Welt.

 

 

Notizen

Drei Aussagen der Autorin:

Ø      Die Gesellschaft hat immer nur vorgefertigte Idylle, die erfüllt werden müsse,             

damit sie funktioniert.   

-  An   dieser Stelle mußte ich an den Roman „Amerikanisches Idyll“ von Philip Roth         

 denken.

Ø      Ich habe mein Leben hinter dem Deich verbracht, hinter der Gesellschft.

Ø      Ich hasse es, wenn das Wetter so zahm ist, ich will das Leben.

Auch in diesem Roman geht es um den Tod. Was mache ich mit dem Tod, wenn ich noch lebe, leben will ?

Bei der Geschichte glaubt man manchmal so ein bißchen bei Rosamunde Pilcher gelandet zu sein oder anders ausgedrückt: Man hat den Eindruck, daß die Autorin an mancher Stelle sich von ihrem eigenen  romantischen Stimmungen treiben läßt. Auch wieder, als sie auf eine Frage antwortet: „ Mein Freund, der mein Lektor ist, sagte: Mein Schatz, du weißt, daß ich dich innig liebe, aber das geht nicht, das kannst du besser. „

Gerstenberg liest besser als viele andere Autoren, mehr nach Art einer Theater-Lesung. Sie ist immer ganz in der Geschichte.

Ihr Hauptthema in diesen Erzählungen: „zu Hause“. Ansonsten fast immer aktuelle Themen. Sie bezeichnet dieses Buch als eine Gegenwartsanalyse.

Aufgefallen ist mir in letzter Zeit übrigens, daß viele Autoren, hauptsächlich jüngere, als Lektor ihren Freund/Mann oder zumindest eine befreundete Person haben.

 

 

 

 

 

 

 Roland Schimmelpfennig

liest aus: „An einem klaren,eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21.Jahrhunderts“ – 21.11.2016

 

Geboren am 19. September 1967 in Göttingen

Deutscher Schriftsteller und Dramaturg.

Nach dem Abitur Journalist in Istanbul.

  Regie-Ausbildung


Werk unter anderem :

An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts   2016

 

Auszeichnung unter anderem:

2012/13:  Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik an der Universität des Saarlandes

 


 

An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des

21. Jahrhunderts

Wie in einem Schwarzweißfilm, in dem gelbes Winterfeuer flackert, ziehen die Bilder und Geschichten dieses Romans an uns vorbei. Sie erzählen vom Suchen und Verlorensein, von der Kälte unserer Zeit und der Sehnsucht nach einem anderen Leben.

 

 

Notizen

Roland Schimmelpfennig ist Dramaturg, und das spürt man bei diesem Roman.

Der Titel wird im ersten Satz fortgesetzt: 

„An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des

21. Jahrhunderts überquerte ein einzelner Wolf kurz nach

Sonnenaufgang den zugefrorenen Grenzfluss zwischen

Deutschland und Polen.“

Winter, Kälte – ein ziemlich einfaches Bild, eine Metapher für die innere Kälte.

Meine Ansicht über die Sprache: Ziemlich abgehackte, kurze Sätze, wenig flüssige Erzähählweise. Ich hatte eher das Gefühl, er beschreibt Theaterszenen. Verschiedene Szenen, Geschichten werden übergangslos aneinandergereiht.

Dialoge im Theater sind anders, müssen mehr Informationen liefern als in der Prosa. Dort werden sie nebenbei geliefert.

Im Theater muß der Dramaturg alle Besucher gleichzeitig ansprechen. Der Prosa-Autor jeweils den einen, einzelnen.

Seltsam die Geschichte des Wolfs. Auf seinem Weg gibt es scheinbar nur heruntergekommene Menschen. Genauso seltsam die Zusammenhänge. 

Die Erklärungsversuche des Autors sehr sparsam, schwerfällig. Der ganze Roman wirkt für mich sehr  konstruiert, ein Versuch, von der Dramatik des Theaters zur Prosa zu kommen. An vielen Stellen und auch einige sprachliche Mittel machen einen anfängerhaften Eindruck. Das ist Theater, aber keine gekonnte Prosa. So sagt er auch selber auf eine Frage, daß er sich gut und sofort vorstellen kann, daß der Roman auf dem Theater aufgeführt wird. 

 

 

 

 

 Lutz Seiler

liest aus: „Kruso“ – 28.11.2016

 

Geboren am 8. Juni 1963 in Gera

Deutscher Schriftsteller

1989 arbeitete Seiler als Saisonkraft auf der Insel Hiddensee

Studierte Geschichte und Germanistik


Werke unter anderem :


Kruso   2014

Stern 111   2020

 

Auszeichnungen unter anderem:


2007 Ingeborg-Bachmann-Preis

2014 Uwe-Johnson-Preis für Kruso

2014 Deutscher Buchpreis für Kruso

2020 Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie „Belletristik“ für Stern 111

2020 Kakehashi-Literaturpreis für Kruso

2023 Berliner Literaturpreis 

2023 Georg-Büchner-Preis

 

 

Kruso

Inselabentuer und Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft. Seiler schlägt einen Bogen vom Sommer 89 bis in die Gegenwart. Die einzigartige Recherche, die diesem Buch zugrunde liegt, folgt den Spuren jener Menschen, die bei ihrer Flucht über die Ostsee verschollen sind und führt uns dabei bis nach Kipenhagen, in die Katakomben der dänischen Staatspolizei.

 

 

Notizen

Für Seiler geht es um die Freiheit oder genauer, um die Frage, wie Freiheit möglich ist. Für ihn soll nicht das Politische, das Gesellschaftliche im Vordergrund stehen - diese Geschichte, die in der DDR spielt, möchte er nicht als einen Roman über das Leben in oder das Ende des Staates sehen - sondern das Philosophische und das Poetische - Seiler kommt von der Lyrik, die in dem Roman auch immer wieder stark durchbricht.

Ed zitiert immer wieder Trakl.

Der Autor selber sagt, daß er beim ersten Schreibversuch gescheitert und der Roman schließlich entstanden ist, als er das schon Verfaßte nur in ungefähr zehn Seiten zusammenfassen und weglegen wollte.
"Jetzt habe ich das Buch geschrieben und weiß noch immer nicht, wie man Romane schreibt."

 Vielleicht fehlt auch ihm etwas Muße, um die geeigneten Wege für die vielen Gedanken zu finden, die sich hinter den Türen, die er in seinem Bewußtsein öffnet, verbergen. Eine App, ein Regenschirm die oder der ihn vor Schubladen schützt. Sein Denken, sein Ausdrücken-Wollen geht tiefer, weit über die Geschichte hinaus.



Siehe: Autoren :Mein Einwurf  > Seiler, Lutz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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