Maron Monika

 

Monika Maron

*3. Juni 1941 in Berlin als Monika Eva Iglarz

Eine deutsche Schriftstellerin, die von 1951 bis 1988 in der DDR lebte.


Werke unter anderem :


Stille Zeile Sechs   1991

Animal triste   1996

Munin oder Chaos im Kopf   2018

 

Auszeichnungen unter anderem:


1992 Kleist-Preis

2017 Ida-Dehmel-Literaturpreis für das Lebenswerk

 

 

 

 

Stille Zeile Sechs

Die DDR Mitte der achtziger Jahre: Rosalind Polkowski, zweiundvierzigjährige Historikerin, beschließt, ihren Kopf von der Erwerbstätigkeit zu befreien und ihre intellektuellen Fähigkeiten nur noch für die eigenen Interessen zu nutzen. Herbert Beerenbaum, ein ehemals mächtiger Funktionär, bietet ihr eine Gelegenheitsarbeit.

Stille Zeile Sechs ist die Adresse Beerenbaums, eine ruhige gepflegte Gegend für Privilegierte, weit entfernt von dem, was in den Straßen der DDR vor sich geht.

 

Mein Einwurf

Die Autorin spricht vom „aktionistischen Sehnsüchten“, die vielleicht entstanden sind, durch die Enge der DDR. Nicht nur der Grenzen/Landesgrenzen, des dort „eingesperrt sein“ wegen, sondern vor allen Dingen wegen der engen geistigen Grenzen.

Es gab nur ein „bezahltes Denken“, damit ein vorgegebenes, vorgeschriebenes Denken. So ersetzte sie die kranke Hand Beerenbaums, eines Funktionärs, und wird somit Teil des Systems, für das sie denken muß. Genau davon will sie sich befreien. Nur noch denken und handeln was sie will. Ihr aktionistisches Handeln-Wollen soll sie auch gegen die Einsamkeit im Sein und im Denken schützen.

Und da ist Thekla Fleischer mit ihrem späten Glück, der späten Liebe. Ein Stückchen Freiheit in der engen Welt. Selbst die Hochzeit findet im Regen in einer kleinen, ausgedienten Kapelle statt. Weil privates Glück nicht vorgesehen ist.

„Und in die buntlackierte russische Holzpuppe, in deren dickem Bauch man immer die nächstkleineren Puppen fand, paßten neun andere, die alle in gerader Linie im Regal der Schrankwand standen.“

Das ganze System in einer Puppe und jeder hatte sich unterzuordnen, damit er hineinpaßte in dieses System.

Ja, die DDR wollte den Kopf des Menschen, sein Denken. Und genau davon will sich Rosalie befreien. Der Traum vom aufbäumenden weißen Pferd, mit dem sie über den Abgrund springen will, über die Grenze in die Freiheit. Aber es war eben ein Traum. Noch dazu aus einem Märchenbuch. In der Wirklichkeit funktionierte der nicht. Da saß Beerenbaum vor dem einzigen Fenster und sie an dem kleinen runden Tisch. Also er, der Funktionär konnte das Draußen beobachten, das Volk saß drinnen und erledigte ohne Wissen des Geschehens außerhalb der Grenzen die vorgegebenen Arbeiten.

Das „Städtchen“, die „stille Zeile“, eine eigene Welt vor dem Hintergrund der Welt. Eingeschlossen von der Welt. In ihr, in dieser kleinen, engen Zeile herrscht Stille, man denkt nicht, man funktioniert, führt aus, was der am Fenster  diktiert und seine kranke Hand nicht selber vermag.

Es entsteht Furcht vor ihm. Aber was verwandelt diese Furcht in Haß ? Ein Huhn, zum Beispiel, fürchtet den Habicht, es haßt ihn jedoch nicht. Bei Rosalie dagegen entsteht Haß.

Am Ende der Friedhof. Die enge Welt des Seins und des Nicht-mehr-Seins. Der Ort der Vergangenheit und der Zukunft, denn hier beginnt sie. Und die Macht über die Toten, die diese vorher über die Lebenden hatten.

Die Wahrheit liegt in der Vergangenheit, doch man will sie jetzt wissen. In der Zukunft, wenn alles vorbei ist, sollte man sie begraben, Dann nützt mir dieses Manuskript der Wahrheit nichts mehr.

„Ich werde es auf keinen Fall öffnen.“

 

  

Monika Maron in Neue Zürcher Zeitung, 30.06.2017 :

"Die meisten Muslime sind friedlich, heisst es. Das stimmt. Und trotzdem frage ich mich seit einiger Zeit bei jeder Frau, die mir kopftuchbewehrt entgegenkommt: Was willst du mir damit sagen? Dass du anders bist als ich? Dass du besser bist als ich? Dass meine Enkeltochter eines Tages auch so rumlaufen wird? Das habe ich mich vor fünfzehn oder zwanzig Jahren, als die Kopftücher eher selten waren, noch nicht gefragt. Dass die meisten Muslime friedlich sind, ist keine Garantie für ihre freiheitliche oder gar säkulare Gesinnung."

 



Animal triste

Die Erzählerin in diesem Roman erinnert sich zum letzten Mal an ihre Liebe, die ihr im Sommer 1990 begegnete, als sie nicht mehr jung war und noch nicht alt. Nachdem ihr Geliebter sie verlassen hat, zieht sie sich aus der Welt zurück und wiederholt seitdem die Zeit mit ihm als eine nicht endende Liebesgeschichte. Das Ende der Diktatur offenbart die Ordnung ihres Lebens als absurd, die gewonnene Freiheit fügt sich nicht mehr dem Ganzen, sondern stellt die früheren Lebensentscheidungen infrage. Die Liebe zu Franz, der jenseits der Mauer aufgewachsen ist, wird zur obsessiven Leidenschaft, die keinen Verzicht zuläßt und keine Rücksicht. Die Heldin des Romans beschwört die Liebe als letzte anarchische Sinngebung, die sich über jede Ordnung hinwegsetzt und ihre eigene errichtet. 


Mein Einwurf

Bei der Zubereitung meines Mittagessens, welches unter anderem aus Frikadellen bestand, die man im Süden Deutschlands auch „Fleischpflanzerl" nennt, wobei ich immer an fleischfressende Pflanzen denken muß, hatte ich gleich  den soeben von mir gelesenen Roman von Monika Maron vor Augen. „Animal triste“. Denn dort liegt die Ich-Erzählerin ständig in Bettwäsche mit diesem Pflanzenmuster.

Animal triste, trauriges Tier, für mich im weitesten Sinn: Traurige Natur.

So wie sie den Saurier geliebt, der der Natur treu geblieben, bis er nur noch Skelett, so will auch sie, die Ich-Erzählerin, alleine, wie in einem Museum, für immer treu sein, treu sein und lieben, ihren Franz, weil die Natur es nicht anders zuläßt.

Da begegnen wir einem Liebeswahn – am Ende sicherlich auch ein bißchen in Kitsch ausartend - der an den Wahn von Kleist`s Penthesilea erinnert:

«Doch von zwei Dingen schnell beschloss ich eines, dich zu gewinnen oder umzukommen»

 

Ja, es ist auch der große Liebesroman, von dem Marcel Reich –Ranicki spricht, aber es ist nicht die herkömmliche Liebe, auch nicht die herkömmliche Sexualität. Beides widersteht den „fleischfressenden Pflanzen", die nur noch ein Skelett übriglassen. Eins aus der Vorgeschichte, über Achilles, den Trojanischen Krieg bis hin zu der "selstsamen Zeit" vor und nach dem Mauerfall. Auch die DDR war ja letztlich nur noch ein Skelett.

 

Und auch vom Menschen bleibt nichts anderes, er ist ebenfalls nichts weiter als ein Stück trauriges Tier, traurige Natur.Er schafft es nicht einmal sich selber so zu sehen wie ihn die anderen sehen, so zu sehen, wie er ist.

„Aber ich wüßte nicht, ob ich mir, hätte ich mich zufällig getroffen, symphatisch gewesen wäre.“

Nun ist „Symphatie“ ja nach dem lateinischen „sympathia“ nicht nur Mitgefühl, sondern auch ein Mitleiden, Mit-Leiden, ein Miterleben der Gefühle von anderen. Eigentlich genau was in Penthesilea gegenüber Achilles vorgeht. Bleibt die Frage, ob man hier von Liebe sprechen kann oder ob es nur ein „Sich-selber-lieben" ist, bis von dieser Liebe nur noch ein Skelett übrigbleibt. Eine Niederlage, ein Scheitern, weil man den anderen zwingen wollte, die Liebe zu erwidern. Dabei gibt es nur zwei Möglichkeiten: Zu siegen oder sich selber zu vernichten. Der Zwiespalt, an dem auch die DDR unter anderem zugrunde ging. Zurückgelassen hat man, nach der ersten Freude, viele traurige Lebewesen, für die teilweise selbst Fleischpflanzerl eine Rarität waren.






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