Lewitscharoff Sibylle

 

Sibylle Lewitscharoff 

*16.April 1954 in Stuttgart

† 13.Mai 2023 in Berlin

Studierte Religionswissenschaft


Im Januar 2022 wurde medial ihre Erkrankung an Multiple Sklerose thematisiert. In dem Kontext heißt es: "entgegen ihrer früheren Ansicht hat sie sich nun für Sterbehilfe ausgesprochen". 

 

Werke unter anderem

Montgomery. Roman, 2003

Consummatus. Roman, 2006

Apostoloff. Roman, 2009

Blumenberg. Roman, 2011

Von oben. Roman, 2019

 

Auszeichnungen unter anderem:

1998: Ingeborg-Bachmann-Preis

2009: Preis der Leipziger Buchmesse, für ihren Roman Apostoloff

2011: Kleist-Preis

2011: Nominierung für den Deutschen Buchpreis (Shortlist) mit dem Roman Blumenberg

2013 Georg-Büchner-Preis 

 

 

 

 

Apostoloff

Ruben Apostoloff ist Chauffeur. Keiner aus Pro­fession, sondern einer aus Freund­schaft, später gar Liebe. An Bord seines klapprigen kleinen Daihatsu hat er zwei Schwestern. Eine davon ist die Ich-Erzählerin. Als die um zwei Jahre Jüngere sitzt sie hinten. Es ist zugleich ihre Lieblings-, weil die Position, aus der heraus sie die Dinge im Griff hat. Man reist durch Bulgarien, von Veliko Tarnovo nach Schumen, weiter nach Varna und Nessebar, schließlich über Plovdiv nach Sofia. Eine kleine Rund­reise durch ein wunderschönes Land, das Ruben Apostoloff bemüht ist, von seinen besten Seiten zu präsentieren. Doch der Erzäh­lerin ist nichts recht. Sie sitzt im Fond und schäumt vor Wut.

Apostoloff ist Abrechnung und Erinnerung in einem. Zorn und eine zwischen den Tiraden sich verbergende Zärtlichkeit, deren Objekt sich früh entzog und die deshalb in Bitternis umgeschlagen ist, prägen den Text der heute in Berlin lebenden Autorin (Jg. 1954) zu gleichen Teilen. Dem hat der titelgebende Cicerone durch das post­kommunistische Bulgarien – die Erzählerin nimmt nur Korruption, mafiose Umtriebe und eine vom Massentourismus zerstörte Natur wahr – wenig entgegenzusetzen. Und gegen die bulgarische Infektion ist die Erzählerin zusätzlich durch eine große Reisebibliothek geschützt, in der Stifter und Martin Amis, Hans Blumenberg und Thomas Pynchon, Beckett und andere stehen.

 

 

Mein Einwurf

Laut Spiegel handelt es sich um eine "rabenschwarze, erzkomische Abrechnung mit dem Vater und seinem Land". Ja, keine Frage, wunderbarer "Sprachwitz", viel schwarzer Humor, ich habe sehr oft geschmunzelt, gelacht und doch sollte man dabei nicht den ernsten Hintergrund übersehen.

Vorurteile und Haß. Eins bedingt durch das andere. Haß als Gegenstück zur Liebe. Aber warum überhaupt Haß? Es besteht eigentlich überhaupt kein Grund, weder in Hinsicht auf den Vater noch auf die Mutter, höchstens kindischer Haß. In Wirklichkeit ist es wohl mehr Haß auf sich selber, weil sie, die Ich-Erzählerin, nicht so erfolgreich ist wie die Schwester. Da kommen die Vorurteile gerade zur rechten Zeit, die auf das Land des Vaters, Bulgarien ist sowieso unterentwickelt, ein armes Land in jeder Hinsicht. Da kann man gut drüber herziehen, wenn man aus dem reichen Deutschland kommt. Natürlich wird alles auch auf den Vater übertragen und gleich noch auf die Mutter. Beide haben sie schließlich gezeugt und dann die Schwester. Warum funktioniert bei ihr alles besser?  Selbst der Begleiter, Rumen Apostoloff - mit einem weichen ff hinten, das nannten wir auch noch so und es kennzeichnet ja auch einen Menschen - neigt sich ihrer Schwester zu. Selbstverständlich, er kommt ja auch aus diesem  fürchterlichen Land, aus dem ihr Vater stammt. Und so wandert der Haß weiter, bis zu ihrer Person. Sie haßt sich im Grunde selber und liebt ihren Vater, aber kann es sich nicht eingestehen, obwohl sie ab und zu spürt, daß es auch positive Dinge in diesem Land gibt. 

­­­­Vorurteile, unbegründeter Haß, nur, weil man mal wieder mit sich selber unzufrieden ist. Rumen wollte den Schwestern auch nur helfen, wollte ihnen zeigen, daß nicht immer alles schlecht ist, daß es überall auch wunderschöne Dinge gibt, daß in jedem Menschen auch ein guter Kern steckt. Es herrscht nicht nur Gleichgültigkeit.

Aber wo soll sie hin mit all ihrem Haß? 


Und endlich werden die Reste ihres toten Vaters auch in diesem fürchterlichen Land beigesetzt, in der Nähe eines Denkmals, welches sich über alles erhebt.Dann wird die Urnenkammer verschlossen. "Das war`s". Der Haß wird weggeschlossen, für immer und ewig. Endlich wieder frei, zurück in das Land, in dem man aufgewachsen ist und weiter leben möchte, ohne Haß, denn er wird ja in Bulgarien liebevoll gepflegt. Würde sie den Vater lieben, käme er ihr wieder hinterher nach Hause. Aber sie hat es geschafft, ein freundlicheres Leben zu führen, wenn auch nur mit Hilfe des Haß.

Wer einen Menschen vergessen will, kann es nicht, wenn er ihn liebt, das gelingt nur, wenn er ihn haßt, und wenn er einen Ort findet, wo er ihn, den Haß, wegschließen kann, einen Ort, den er auch mit diesem Haß überziehen kann und anschließend von ihm wegfliegen kann, um ihn nie wieder zu erleben. "Das war`s". Man muß den Haß kastrieren, um die Liebe wieder zu gewinnen. Wenigstens wegschließen, bevor der Giftpfeil einen trifft. Wer nicht liebt, schafft locker den Abflug.

Ursache und Wirkung. Haß verteilt, da wo es am einfachsten ist, da, wo sich keiner wehren kann. Der tote Vater konnte es bei Lewitscharoff auch nicht und die vielen Bulgaren hatten auch keine Chance. Man geht eben immer den einfachsten Weg.

Helmut Pohl

 

 

 

Montgomery

Ein glutheißer Sommer in den Gassen und Spelunken Roms: Der erfolgreiche und erheblich verschrobene Filmproduzent Montgomery Cassini-Stahl arbeite fieberhaft an seinem Lebenswerk, außerdem hat er sich auf nie gekannte Weise verliebt. Ohne es recht zu merken, verliert Montgomery die Kontrolle über sein Leben.

 

Mein Einwurf

Montgomery, ein Schwabe in Rom, ein Schwabe aus Stuttgart. Vertriebene und ihre erzwungenen Gastgeber, wenn wir an die ersten Gastarbeiter denken. Nun ist er auch Gastarbeiter in Rom, schwäbischer Gastarbeiter. Soweit die eine Ebene, die andere: Ist er Vertriebener, vielleicht sogar Vertriebener des Dritten Reichs ? Er kommt vom Nachbarland nach Italien und wird ein berühmter römischer Filmproduzent. Sein letztes Werk: Jud Süß Oppenheimer. Eine Flucht? Sie alle sind Außenseiter. Montgomery ist auch Außenseiter in Rom und in der Filmbranche. Er war es übrigens auch in Schwaben. 

Jud Süß ist ein Propagandafilm der Nazis. In Rom ein Propagandafilm von einem Schwaben.Hauptdarsteller ein Engländer, für den Montgomery einspringen muß (schlüpft zwangsmäßig in die Rolle eines Darstellers, er der Produzent, der Führer, geradezu ein „Attentat“ auf ihn.), aber der Engländer erobert die Freundschaft des Deutschen, wie einmal ein Österreicher. 

Montgomery will im Italien des Führers- welchen auch immer – diesen Judenfilm als Monumentalfilm drehen. Er, der angeblich seinen behinderten Bruder – ein minderwertiger Mensch in seinen Augen – getötet haben soll. Angeblich. Aber wer hat schon gesehen wie Robert im Schwimmbecken ertrank ? Wie es geschah ? Die Mutter ? „Vom Schlafzimmerfenster im ersten Stock.“ Es ist lange her. Es ist bereits Spätherbst !

Er, der sich in eine Holländerin verliebt, sich mit ihr einläßt, scheitert noch vor der Vollendung des Monumentalfilms, stirbt vorher, wie Hitler, der seine heimliche Geliebte Eva Braun vor dem gemeinsamen Suizid heiratet, die mit siebzehn von ihm zum Essen eingeladen und ins Kino ausgeführt wurde, wie die Holländerin von Montgomery, bei dem man doch auch immer so ein bißchen das Gefühl hat, er könne auch homosexuell sein.

Ernst Hanfstaengel, ein Angehöriger aus dem engeren Kreis Hitlers schrieb einmal: Hitler ist weder gänzlich homosexuell noch gänzlich heterosexuell gewesen.

Der Roman spielt im Italien des Duce, des Benito Mussolini. Benito heißt auch der Fahrer Montgomerys, womit er also rangmäßig über Benito steht. Dazu muß man wissen, daß Mussolini als journalistischer Anfänger zum Chefredakteur aufstieg und mit Hilfe von Geldgebern eine Zeitung gründete und zum Gründer einer faschistischen Bewegung und deren Duce wurde. Aus der Haft befreit (Montgomery aus der seiner schwäbischen Mutter) stand er an der Spitze Italiens, eines Marionetten-Staates (Filmbranche) und wurde in den letzten Kriegstagen hingerichtet.

Er Montgomery war Gebieter, der sich in  „der Branche behauptete, ein kleiner zäher Mann, der eine närrische Idee behauptete und über Hitlers Propagandaschinken hinaus in aller Welt triumphierte.“

Montgomery ein kleiner Hitler als Vertriebener in Italien (beim Duce). 

Eine Behauptung Platons lautet: „ Großes Unrecht geht nicht von gewöhnlichen Menschen aus, sondern von einer edlen Seele, die durch eine fehlgeleitete Erziehung verdorben ist. „

Aber wie war das mit der Tötung des Bruders, mit der Tötung der Juden ? Der letzte Satz bei  Lewitscharoff zeigt das Heute:

„Der Beckenanstrich ist abgeblättert, die Wände haben Moos angesetzt, eine dicke Schicht aus Moder und Laub deckt den Grund.“

Hier in diesem Roman für meine Begriffe der gleiche Versuch, gelungene Versuch, der Abbildung, nein, mehr der Spiegelung der Personen des Krieges, der Ursachen und des Danach. Die Personen der beiden Romane stehen exemplarisch für die historischen und deren Umstände, sie sind sie. 

Wäre es möglich, daß hier eine neue literarische Form der literarischen Aufarbeitung europäischer Geschichte entsteht, entstanden ist ?   


 

 

 

 

 

VON OBEN

Aus der Vogelperspektive blickt Sibylle Lewitscharoffs unbehauster Erzähler hinab auf sein eigenes Grab, die hinterbliebenen Freunde und Nachbarn, auf Fremdes und Vertrautes in der unter der Hitze stöhnenden Stadt. Körper- und willenlos driftet er durch den Himmel über Berlin, erscheint mal hier, mal dort, ein stiller Beobachter, Zeuge von Schönem und Schrecklichem, mit übernatürlicher Hör- und Sehkraft begabt, doch zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Seine Erinnerungen sind lückenhaft, seine Zukunft ungewiss. Was darf er hoffen, was muss er fürchten: Hölle? Fegefeuer? Himmlisches Paradies?

 

Mein Einwurf

Doch genausowenig wie man stets zurückblicken soll, nützt auch ein zu genaues Planen oft nichts, denn meistens ergibt sich vieles später ganz anders oder läßt erst am Ende einen Sinn erkennen. Das gilt zumindest, wenn ich auf meine vergangenen sieben Jahrzehnte zurückblicken würde. Und so habe ich auch den Roman von Lewitscharoff "von oben" gelesen. Sie drückt es übrigens in der Überschrift des letzten Kapitels aus: " Jede Geschichte bekommt erst von ihrem Ende her ihren Sinn."

Vor dem Tod – nach dem Tod.

Bin ich nachher noch Ich ? Obwohl das einst lebendige Ich ja tot ist. Was ist das Ich nun ? Was ist das überhaupt ? Nur noch Gedanke für die lebenden Ich. Ohne Form, ohne Gestalt. Ein „Nichts“, also doch etwas. Etwas für- sich. Es existiert nicht mehr. Nur noch die stofflichen Reste des einstigen Ich. 

Der Erzähler / die Autorin stellt sich das Leben nach dem Tod vor. Und doch scheint es manchmal so, als ob es für Lewitscharoff ein übernatürliches Wesen gibt, da sucht sie zum Beispiel nach Himmel und Hölle. Dieses „Nichts“ schaut oben immer wieder nach etwas Göttlichem. Wann werden die Menschen endlich begreifen, daß über uns niemand „brummt und pfeift oder klopft“. Weder auf dem Mond noch auf irgendeinem anderen Planeten oder einer Wolke? Wir müssen hier alleine mit unseren angeblichen Problemen fertig werden. Es gibt niemanden, der für uns sorgt, damit wir uns nur noch in eine Hängematte legen brauchen. Hier unten keinen Staat, dort oben keinen Gott. 

Bei Lewitscharoff scheint dieses „Nichts“ immer von einer höheren Macht gelenkt zu werden, es ist willen-und machtlos. Doch es denkt immerzu. Können wir erst nachher, also da oben begreifen, was wir gedacht haben ? Falls wir dann noch denken können. Da oben, wo eigentlich ? Und als Nichts ? Das konnte uns unten auch die Philosophie nicht sagen. Es scheint mir die typische Vorstellung der Lebenden über das Danach. Und das nicht Ablassen davon, daß es ein Danach gibt. 

Sibylle Lewwitscharoff sucht nach einem Leben nach dem Tod. In alten Mythen und in einem Glauben an eine ewig existierende „Seele“, die aber menschenähnlich existiert und denkt. Nach dieser Unsterblichkeit fandet sie sogar, indem sie die Hilfe von Kafka in Anspruch nimmt.

Dieser Ich-Erzähler, dieses Nichts hat allerdings den Vorteil, daß es sich vor nichts und niemandem rechtfertigen muß. Obwohl, manchmal kommt dieses Menschliche doch zum Vorschein. Aber von oben betrachtet sieht man alles rückwirkend viel gelassener. 

Und so behandelt die Autorin die gesellschaftlichen, politischen Themen die ihr wichtig sind von oben, in Gestalt eines Toten, eines Nichts. Da kann sie ungestört ihre Meinung kundtun. Es ist ja die eines nicht mehr Existierenden. Sie verschafft sich also auf diese Art eine Freiheit. Doch eigentlich handelt es sich auch nicht wirklich um einen Toten, eher um einen zwischen Leben und Tod. Man sagt ja auch, da ziehe das ganze Leben noch einmal an einen vorüber. 

Vielleicht blickt Lewitscharoff auch von oben auf sich herab. Nach ihrem literarischen Fall von Dresden. Auch ihr Nichts fühlt sich einsam, in einer sozialen Einsamkeit. Genau vor der möchte wahrscheinlich auch die Autorin fliehen, abtauchen, sich abwenden, auflösen. Dies ganze soziale Elend nur noch von oben betrachten und dann hinweg in die Nacht. 

Darf man über die Menschen, ihr Aussehen, ihr Handeln, über die Kirche und die Gesellschaft allgemein lästern ? Als Mensch, also als Mitglied der Gemeinschaft nicht. Als Toter oder Scheintoter, als Nichts kann es einem keiner verwehren, keiner übelnehmen.. Das ist der „Trick“ der Autorin. In dieser Gestalt ist sie frei und darf alles. Selbst die Schwulen-Szene läßt sie ja nicht aus, schön verpackt in einen gesamtgesellschaftlichen Rückblick. Spätestens an dieser Stelle muß man unwillkürlich an die Dresdner-Rede denken. Was schlummert in dieser Frau ? 

Aber lassen wir nicht alle manchmal unsere Gedanken über die Gesellschaft, über unser Leben hier unten fliegen ? Ja, Lewitscharoff hat sich damals vergaloppiert. Und nicht alles, was man gerade denkt, sollte man auch sofort aussprechen, denn mit der Meinungsfreiheit ist es so eine Sache. Wollen wir eigentlich eine andere Meinung als unsere überhaupt hören ? Wenn wir erst da oben sind, dann dürfen wir jede Meinung haben. Aber hier unten gilt die jeweilige Meinungsfreiheit der Gesellschaft, also die freie Meinung der Gesellschaft.

In der Szene über ihn, den Toten -das Nichts – oder besser über die Autorin selbst, gesteht sie eigene Fehler ein, läßt den Stammtisch in der Kneipe über sie erzählen, reflektieren. Da schwingt die Dresdner-Rede, in der sie viel geschwafelt hat, nach. „Ein gernegroßer Besserwisser“ – Mehr Eigenkritik geht eigentlich nicht. 

In einer literarischen Gegenwartsanalyse – manchmal ironisch, manchmal satirisch – zeigt Sibylle Lewitscharoff was Literatur auch vermag, leisten könnte. Nämlich Grenzen überschreiten, um nach Lösungen suchen zu können.

Dieser Roman ist ein Denkspiel im Konjunktiv.

Am Ende hält das „Nichts“ Gerichtstag über sich, über sein eigenes Ich. Bevor es sich vom Balkon löst. Nach oben, nach unten ?

„Aber ich schaff´s.“ 

 


 

 

 

 

 

Blumenberg

Groß, gelb, gelassen: mit berückender Selbstverständlichkeit liegt eines Nachts ein Löwe im Arbeitszimmer des angesehenen Philosophen Blumenberg. Die Glieder bequem auf dem Bucharateppich ausgestreckt, die Augen ruhig auf den Hausherrn gerichtet. Der gerät, mit einiger Mühe, nicht aus der Fassung, auch nicht, als der Löwe am nächsten Tag in seiner Vorlesung den Mittelgang herabtrottet, sich hin und her wiegend nach Raubkatzenart. Die Bänke sind voll besetzt, aber keiner der Zuhörer scheint ihn zu sehen. Ein raffinierter Studentenulk? Oder nicht doch viel eher eine Auszeichnung von höchster Stelle für den letzten Philosophen, der diesen Löwen zu würdigen versteht? 

 

 

Mein Einwurf

Lewitscharoff hat diesen Roman für die Tochter des Philosophen Hans Blumenberg geschrieben und damit wohl bewußt oder unbewußt den Grundstein für ihr Werk "Von oben" gelegt. Dies ist die Welt von unten in den 80er Jahren - natürlich hat sie auch hier wieder einige Gesellschaftskritik untergebracht - bis ihm, Blumenberg,  "der Löwe die Pranke vor die Brust" hieb und ihn in eine andere Welt riß, in eine abgeschlossene Höhle, aus der es wohl nur noch den Ausweg nach oben gab. Jedenfalls behauptet die Autorin, "daß man nicht einfach nur tot sei, wenn man tot ist." Diese Gedanken mögen in die theologische Welt von Lewitscharoff passen, in meine nicht mehr. Hier trenne ich mich von ihrer Gedankenwelt, nicht aber von ihrer Literatur.

 

Aber vielleicht könnte dieser Roman auf einen Trost für alle hinweisen, die in dieser Zeit alleine sind. Irgendetwas begleitet einen in den Gedanken und wenn es, wie bei Blumenberg, ein Löwe ist. Für mich etwas Austauschbares. 

Denn alles, was das Alleinsein aufhebt, kann einen trösten.

 

Das trifft übrigens auf mich nicht zu, da ich keinen Trost benötige, weil ich nie wirklich alleine bin. Das ist man erst, wenn einen auch die Gedanken verlassen. Und meine sind immer bei Irgendwem oder irgendwo. Mit anderen Worten: Meine Gedankenwohnung hat immer Besuch, kennt keine Kontaktsperre. Mag sein, sie ist manchmal überbevölkert, was dann den Löwen auch wieder stören würde. 

Da stimme ich schon eher dem Rebhuhn am Ende des Romans in der Höhle zu: "Der Mensch bildet sich immerzu ein, nur er leide." Einbildung kann auch Trost sein.

 

Wichtig ist, daß wir einen Plan haben - mag es auch ein Löwe sein - , der uns in das Morgen begleitet. Ob es sich morgen noch um den gleichen handelt, ist nicht entscheident. Es muß nur wieder einer vorhanden sein. 

 


 

 

 

 

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