Gedankensplitter III

 


Begegnung mit Gedanken
 

                   Gedankensplitter....

                                   

 

 Aussagen

Ich lese auch immer wieder ganz andere Interpretationen bei vielen Romanen und Geschichten, was für mich jedoch nicht wirklich wichtig ist, denn bei mir entfacht das Geschriebene eigene Eindrücke und nur mit denen kann ich mich abgeben. Was nützt mir die schönste Interpretation, wenn sie sich mir nicht erschließt oder wenn sie dort aufhört, wo das Eigentliche erst beginnt. Es kann nicht sein, daß Literatur immer nur eine Aussage beinhaltet. In meinen Augen ist sie nur ein Hinweisschild auf etwas, dem wir folgen müssen, um selber einen Weg zu finden.


 

Fragen und Antworten 

Tage, eine Woche, die Zeit verfliegt und wir schlendern im Trott nebenher. Haben wir etwas erlebt oder haben wir nur gelebt? Nein, ich formuliere nicht schon wieder Fragen, obwohl das Leben fast nur aus Fragen besteht. Und die wichtigste ist, ob wir in unserem Leben auch Antworten bekommen. Einige sicherlich, aber nicht die entscheidenden. Aber selbst, wenn wir sie bekommen, sind Antworten ja nicht auch gleich Erklärungen. Wer dem anderen antwortet, beantwortet nicht auch zwangsläufig seine Frage, weil eine Antwort zunächst nur eine Entgegnung auf eine Frage ist, aber keinesfalls eine Erklärung auf die Frage sein muß. Ich kann dem anderen auch antworten, ohne ihn zu verstehen, beziehungsweise, ihn verstanden zu haben.

Wie oft antworten wir eigentlich, ohne das Vorangegangene verstanden zu haben? Oder wir antworten, weil wir glauben, es verstanden zu haben, weil etwas in uns schlummert, das uns sagt, du bist über all das informiert. Vorurteile sind nichts weiter als glauben zu wissen.


 

 

Gefühl 

Gefühl, ein äußerst individueller Begriff, der sich in alle Richtungen ausweitet. Etwas fühlen, nicht körperlich, sondern geistig,von der Grundbedeutung, ein Tastsinn, eine seelische Stimmung, etwas nie allgemein Definierbares und daher dem anderen gegenüber auch nicht wirklich übermittelbar. Wie sollte ich dir mitteilen, was ich im Augenblick wirklich fühle. Es ist in Worten nicht auszudrücken. Ich kann mich dem immer nur annähern und du kannst es erahnen, aber nie in seiner Ganzheit nachempfinden. Daher bleibt es immer, auch in der größten Gemeinsamkeit ein Stück Ich, etwas, was zwei Menschen nie als völlig identisch erleben können. Eine Grenze zwischen Individuen, die niemals überschritten werden kann, denn sonst würde die Individualität zerstört.


 

Frühlingsgefühle

So sinnlos ist der Begriff Frühlingsgefühle, weil ein Gefühl sich nicht nach der Jahreszeit richtet, sich vielleicht in unwesentlichen Dingen punktuell verändern kann, aber kein anderes Gefühl wird. Kein Gefühl wird intensiver, nur weil Frühling ist. Ich mag, beachte oder liebe einen Menschen auch nicht mehr, als in den anderen Jahreszeiten. Vielleicht versucht die Begierde an anderen Orten zur Erfüllung zu gelangen, aber das ändert doch nichts an dem Gefühl. Vollkommen unverständlich wird es, wenn man versucht, den Menschen mit der Natur - hier die Blumen, Bäume, Gräser - zu vergleichen. Wir bilden keine Knospen, die dann erblühen, um im Herbst wieder abgeworfen zu werden. Auch Gefühle erblühen nicht neu und sterben auch im Herbst nicht ab. Sicher, die Tage werden länger und heller und die zunehmende Kraft der Sonne weckt nach den dunklen und kalten Monaten auch bei uns wieder neue Energie, aber die Gefühle bleiben die selben. Immer wieder wird die Weihnachtszeit als die Zeit voller Gefühle beschrieben, obwohl es da kalt und dunkel ist. Und in wenigen Monaten kommt dann der Sommer, der alle Gefühle überschäumen läßt. Nein, unser wirkliches Gefühl ist unabhängig von den Jahreszeiten, es wird nur bestimmt durch die Begegnung, bei der es aber keine Rolle spielt, ob es schneit oder ob die Sonne heiß von oben scheint. Dieses Etwas unterliegt einzig und allein der Begierde.Und dieser Begriff ist jetzt nicht sexuell gemeint,jedenfalls nicht nur. Ich würde Gefühl passender durch Gemütsverfassung ersetzen. Aber bei Frühlingsgemütsverfassung würde mich dann auch keiner mehr ernst nehmen, was aber auch nicht wirklich wichtig wäre oder ist. Jedenfalls käme es dem, was man meint, damit näher.


 


Hoffnung 

Und mit der Hoffnung ist das ja so eine Sache, denn Hoffnung ohne die Realität wäre nur ein Wunschtraum, aber es ist doch eine Erwartung auf die Zukunft, die von der augenblicklichen Existenz ausgeht. Diese Erwartung muß zunächst noch nicht einmal positiv sein, wird aber überwiegend so verstanden. Nietzsche sagt zum Beispiel:“ Die Hoffnung ist das Übelste aller Übel, weil sie die Qualen verlängert.“

Eine Qual kann auch nur das Warten auf eine gewünschte Besserung oder ein zu erwartendes Ereignis sein, wenn wir mal an den etwas veralterten Ausdruck: "In guter Hoffnung sein", denken.

Hoffnung ist also nicht einfach ein blindes Vertrauen auf die Zukunft, sondern eine auf der Realität begründete Erwartung.


 

 

 

Dunkle Feiertage 

Da sind sie wieder, die langen Abende, Dunkelheit, die seltsamen Feiertage. Allerheiligen, früher Familienausflug zum Friedhof. Pflichtprogramm. Modenschau, die neue Winterkollektion wurde vorgeführt. An irgendeinem Grab der Familie, der Verwandschaft traf man sich. Überbietungsveranstltung beim Grabschmuck -auch so ein seltsames Wort. Die Toten mußten zeigen, wer und was die Lebenden waren.So hatten sie wenigstens einmal im Jahr noch eine Aufgabe.Wer keine Toten hatte, brachte wenigstens einen Kranz oder dergleichen mit. So konnte man immerhin auf zweiter Ebene noch etwas sein.

Heute brennen die Kerzen vor sich hin. Und die Toten ruhen sich von Halloween aus. Die Lebenden auch, aber getrennt. Ganz nebenbei faseln sie dann von christlicher Leitkultur. Halloween gehört zu Deutschland?

Jetzt blase ich die Kerze vor mir aus. Nächsten Sonntag ist Volkstrauertag. Wenn man sich die Welt anschaut, reicht ein Tag im Jahr dafür eigentlich nicht aus.


 

 

Es ist so dunkel, kalt und feucht,
Das Wasser hat uns schon begraben.
Gib deinen warmen Mund - mich deucht,
Nichts bleibt uns als uns lieb zu haben.

Klabund (Alfred Henschke) 1890-1928

 


 

 

 

Arnold Stadler

* 9. April 1954 in Meßkirch

Deutscher Schriftsteller, Essayist und Übersetzer

1999  Georg-Büchner-Preis

 

 

"Was ist Lieben? 

Bevor ich darüber nachdachte, wusste ich es noch"

 

Mein Einwurf

Wie schnell ist doch der Satz gesagt, ich liebe dich,ohne daß man sich darüber bewußt ist, was eigentlich dahinter steckt und welche Konsequenzen daraus entstehen. Lieben ist eben mehr als „mögen", mehr als „wollen", mehr als „gern haben". All dies ist der erste Eindruck, das erste Empfinden, aber für mich gehört dazu, sich auf einer Ebene zu treffen, für einander einzustehen, sich zu sehen wie man wirklich ist, das Sein des anderen zu akzeptieren, mehr noch, es und seine Pläne als die eigenen anzunehmen, also quasi die beiden Seins zusammenzuführen, aber, und das sage ich auch ganz deutlich, ohne die Freiheit beider Seins zu beschneiden. Lieben ist keine Einseitigkeit und kein Einnehmen des anderen. Die Zusammenführung der beiden Seins schließt die Freiheit jedes einzelnen Seins nicht aus. Jedes Sein kann nur existieren, wenn es weiterhin seine Entwürfe entfalten kann, aber die Resultate der Entwürfe müssen gebündelt werden, wenn eine Gemeinsamkeit, ein gemeinsames Empfinden entstehen soll. Ja, ich weiß, was es heißt, jemanden zu lieben, aber wenn ich es praktiziere, wird etwas anderes daraus. Und da ist der Punkt: Ich bin mir im voraus nicht immer bewußt, welche Konsequenzen daraus entstehen. Lieben ist ein abstrakter Begriff, ich muß ihn im Nachhinein mit Leben erfüllen. Ich weiß nicht, ob Stadler das so gemeint hat, aber ich verstehe es in etwa so und es ist so auch meine Empfindung von Liebe. Vielleicht ist er durch seine Umgebung, durch sein Aufwachsen so geprägt worden, das kann ich nicht sagen, ich bin es sicher und mein Nachdenken hat mich dahin geführt und läßt mich heute oft zweifeln, ob lieben wirklich das ist, was ich einst dafür gehalten habe. Das führt aber auch dazu, daß ich mich immer wieder und immer intensiver frage, ob ich einen Menschen wirklich liebe oder ihn nur mag, mit ihm wirklich eins bin, ihm sein eigenes Sein zugestehe, seine eigenen Entwürfe akzeptiere und immer wieder versuche, sie mit meinen gleichzuschalten, ohne dabei die Freiheit der Entfaltung seiner Entwürfe einzuschränken.

Bevor ich darüber nachdachte, war lieben so einfach........


 

 

„Komm, gehen wir“ – Arnold Stadtler

 


 

 

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